Leben ala Carte – 1702

Der gesunde Kompromiss

25 Jahre Knie­rehabilitation

Doris Auer
Text: Doris Auer

Galt der Minimalanspruch, das operierte Knie schmerzfrei durchbewegen zu können, zu Beginn als taugliches Ziel, so ist es heute die volle Alltags- und Sporttauglichkeit. Dieser dramatisch gestiegene Anspruch macht den abwägenden Interessensausgleich zwischen Operateur, Physiotherapeut und Sportwissenschafter zur Königsdisziplin der modernen Knierehabilitation.

 

25 Jahre Knie­rehabilitation

 

Die Revolution in der Kreuzbandoperation heißt Arthroskopie, war die Schlagzeile in der Ausgabe 1 des SPIRIT, 1992. Der Standard damals war die Operation am offenen Knie. Wenn das Knie zugenäht und infektfrei war, war aus Sicht des Arztes sein Job erledigt. Das Knie wurde eingegipst. Aus Sicht des Physiotherapeuten galt die Rehabilitation als beendet, wenn der Patient von 0° auf 100° frei durchbewegte. Dass man mit 100° Beugung nicht Radfahren kann erschien nicht relevant, wie überhaupt Alltagsfunktionen und Sport als Endziel nicht wirklich Beachtung fanden. Das Reha-Team bestand aus Operateur und eventuell einem Physiotherapeuten. Motto: Das wird schon. In vielen Fällen wurde es leider nicht mehr.

Die interdisziplinäre Herangehensweise revolutionierte den Reha-Prozess. Zu Arzt und Physiotherapeut gesellte sich eine dritte Sparte, die Sportwissenschaft. Das erweiterte den Blickwinkel deutlich. Vor allem die Muskulatur bekam damit einen „Anwalt“ und eine relevante Position im Wiederaufbauprozess. Das Wichtigste war, die Ansprüche der drei Berufsgruppen zusammenzuführen ohne Schaden anzurichten, gleichzeitig aber adäquate Reize zu setzen, um den Reha-Prozess zu optimieren. Hier zum Wohle des Patienten den gesunden Kompromiss für alle Strukturen zu finden, ist bis heute die Königsdisziplin der Wiederherstellung.

 

25 Jahre Knie­rehabilitation

 

Wenn man die Art und Weise der Evaluierung des Behandlungsergebnisses betrachtet, dokumentiert dies besonders gut die rasante Entwicklung des Anspruchs an die Kniefunktion. Am Anfang stand das Maßband. Der Muskelumfang im Seitenvergleich war das Maß der Dinge. Wiewohl dieser ein guter Indikator ist, bestimmen dynamische Maximalkraft, Schnellkraft, Kraftverhältnis von Agonist und Antagonist (Beuger-/Streckerverhältnis) Funktionalität und Stabilität des Gelenks. Um diese relevanten Faktoren objektiv zu testen, wurden die computergestützte dynamische Muskelfunktionsdiagnose (Isokinetik-Test) und Sprung- /Koordinationstests in den Reha-Prozess miteingebunden. Diese Testverfahren ermöglichen eine ganzheitlichere Beurteilung der Muskelfunktion im Links-Rechts-Vergleich.

Beispielhaft markiert die Time to Peak (wie schnell erreicht der Muskel seine maximale Kraft) sehr gut den aktuellen Standard. Denn auch wenn der Muskel im Seitenvergleich die gleiche Kraft entfaltet, aber dafür zu lange braucht, kann er das Gelenk nicht ausreichend schützen. Neben der Analyse solch kritischer Einzelfaktoren testen wir am Institut für Sporttherapie mit dem „Back to Sport-Test“ in komplexer Weise die Sporttauglichkeit insgesamt und können dadurch belastbare Antworten auf die wichtigste Frage: „Hr. Dr. darf ich?“ geben.