Meilensteine
25 Jahre Evolution bei der Behandlung der vorderen Kreuzbandruptur
Im Jahre 1992 begannen wir unsere Ausbildung zum Facharzt für Unfallchirurgie, nachdem wir kurz zuvor von einem Studienaufenthalt in Luzern, sowie der Schulthess Klinik in Zürich zurückgekehrt waren. An beiden Orten machten wir das, was wir in den letzten Jahren unseres Medizinstudiums im Rahmen unserer Dissertation eingehend gelernt hatten: Knie untersuchen und Operationsergebnisse objektiv analysieren und statistisch ausarbeiten.
Operativ versus Konservativ
In unserer Dissertation untersuchten wir operativ und nicht operativ behandelte vorderere Kreuzbandrisse und kamen zum Ergebnis, dass für sportlich aktive Menschen die operative Versorgung besser war.
Offen versus Arthroskopisch
In der Schweiz verglichen wir die Ergebnisse offener und arthroskopisch („Knopfloch-Chirurgie“) assistierter Kreuzbandoperationen. Während die mittelfristigen Ergebnisse keine wesentlichen Unterschiede zeigten, war die unmittelbar postoperative Phase bei der arthroskopischen Chirurgie deutlich angenehmer und mit geringeren Schmerzen verbunden. Mit der rasanten Entwicklung der minimalinvasiven Chirurgie in den frühen 90iger Jahren wurde der arthroskopische Kreuzbandersatz deshalb rasch zum Standard.
Ebenfalls ein Standard zu Beginn der 90er Jahre war der Kreuzbandersatz mit dem zentralen Drittel der Patellarsehne (Kniescheibensehne). Man erzielte gute klinische Ergebnisse, allerdings zeigten sich gelegentlich Probleme im Sinne von Schmerzen im Bereich der Entnahmestelle vor allem an der Kniescheibe.
Semitendinosus versus Patellarsehne
Vor allem im Schirennlauf gab es Athleten, die ernsthafte Schwierigkeiten hatten. Aus diesem Grund wurde zunehmend die Verwendung der Beugesehnen des Oberschenkels (Semitendinosus- und Gracilis- Sehne) interessant. Ende der 90er Jahre brachen „Glaubenskriege“ zwischen den Kniechirurgen aus, was denn wohl der beste Kreuzbandersatz wäre. Mit dem Jahr 2000 gewannen dann die Beugesehnen zahlenmäßig endgültig die Oberhand. Die Wissenschaft interessierte sich hauptsächlich für die Biomechanik und es wurde versucht diese Erkenntnisse in die operativen Verfahren einzubringen. Nach den anatomischen Studien dieser Zeit lässt sich das Kreuzband in zwei funktionelle Bündel einteilen (anteromediales und posterolaterales Bündel) die in unterschiedlichen Kniebeugewinkeln angespannt sind.
Einzelbündel versus Doppelbündel
Obwohl Doppelbündel-Techniken biomechanische Vorteile in zahlreichen Studien zeigten, wirkten sie sich auf das klinische Ergebnis kaum aus. Außerdem war diese Technik deutlich anspruchsvoller, mit größerem Fehlerpotential versehen und zudem doppelt so teuer. Sie verlor nach kurzem „Hype“ schnell wieder an Bedeutung. Diese OP Technik konnte uns irgendwie von Anfang an nicht wirklich überzeugen. Trotzdem war diese Phase extrem wichtig. Man interessierte sich wieder mehr für die Anatomie. Diese Phase hat unser heutiges chirurgisches Tun massiv beeinflusst. Die Platzierung der Bohrkanäle veränderte sich und damit auch die Biomechanik der heute wieder gängigen Einzelbündel-Rekonstruktionstechniken.
Individueller Kreuzband-Ersatz
In den letzten Jahren zeigte sich, dass es nicht möglich ist mit „Standards“ auszukommen, sondern dass sowohl Operationstechnik als auch das verwendete Transplantat den individuellen Bedürfnissen und Gegebenheiten eines Patienten anzupassen ist. Dabei ist wichtig welche Sportarten oder welchen Beruf jemand ausübt, wie seine körperlichen Gegebenheiten (Größe des Knies, Länge der Extremitäten, und Zusatzverletzungen) aussehen und ob bereits Voroperationen bestehen. Heute stehen uns neben den körpereigenen Transplantaten auch „Spendertransplantate“ zur Verfügung. Letztere finden eher nach wiederholten Kreuzbandoperationen oder bei multiplen Bandverletzungen am Knie ihren Einsatz.
Zahlreiche Studien zeigten zwar keinen Unterschied in den Ergebnissen, allerdings bestehen sehr wohl Eigenheiten der Transplantate. So zeichnet sich die Semitendinosus-/Gracilis-Sehne mit geringer Entnahmeproblematik aus, ist aber tendenziell etwas instabiler als die Patellarsehne und benötigt eine längere Einheilungszeit. Bei der Patellarsehne wiederum bestehen tendenziell mehr Probleme beim Knien. Die Quadriceps-Sehne bietet ausgezeichnete Ergebnisse, die Entnahme ist aber technisch aufwendig und war bis vor kurzem häufig mit unschönen Narben verbunden.
In intensiver Zusammenarbeit mit Ingenieuren einer Medizintechnikfirma, aufwendigen biomechanischen Studien an der Universität Münster, anatomischen Untersuchungen in Warschau und vielen Diskussionen mit internationalen Kollegen und letztlich kritischer Analyse unserer operativen Ergebnisse entwickelten wir eine neue Operationstechnik, die 2012 erstmals vorgestellt wurde. Unser Ziel dabei war einerseits eine Reduktion der Entnahmeproblematik (Schmerz und Narbenbildung) von Patellar- und Quadrizepssehne, andererseits eine verbesserte Biomechanik. Mit speziellen Instrumenten wird ein Transplantat aus der Quadrizepssehne exakt und mit kleinstem Hautschnitt entnommen. Durch Verwendung eines rechteckigen statt eines runden Knochenkanals am Ansatzareal des ursprünglichen Kreuzbandes erreichen wir eine Verbesserung der Rotationsstabilität ähnlich einer „Doppelbündel Technik“. Diese Operationstechnik und unsere Ergebnisse wurden in den letzten Jahren bei nahezu allen großen internationalen Kongressen präsentiert, in Büchern und medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht und stießen auf großes Interesse.
Die Entwicklung der Kreuzbandchirurgie ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Fortschritte sind wie in allen Bereichen der Medizin, nur durch konsequente, objektive Evaluierung unserer Ergebnisse und durch Entwicklungen auf der Basis intensiver Grundlagenforschung möglich. Deshalb ist bei „Sensationsmeldungen“, die in regelmäßigen Abständen durch die Boulevardpresse geistern, immer etwas Vorsicht geboten.
Operationstechnisch sind neue Entwicklungen vor allem in einer noch besseren Näherung an die Anatomie des vorderen Kreuzbandes zu erwarten. Auch hier haben wir mit einer internationalen Chirurgengruppe und medizinischen Topingenieuren in den letzten drei Jahren an etwas Neuem gearbeitet. Wir erwarten in den nächsten Monaten die klinische Zertifizierung für diese, wie wir glauben sehr innovative und zukunftsweisende OP Technik zu bekommen.
Spannend sind natürlich auch biologische Konzepte, die die Heilung des gerissenen Bandes an sich verbessern sollen und einen Ersatz vielleicht irgendwann nicht mehr notwendig machen. Bisher musste aber die anfängliche Euphorie über die Erfolge einer einfachen Naht schnell wieder der Realität weichen.
Sportrückkehr
Parallel zu den chirurgischen Entwicklungen wurde auch auf dem Gebiet der Verletzungsprävention und vor allem der Sekundär Prävention (Verhinderung der Wiederverletzung) geforscht. Die beste Chirurgie kann die nachfolgende Physiotherapie nicht ersetzten. Die unterschiedlichen Transplantate bedingen zudem physiotherapeutisch feine Anpassungen. Daher wird die Kommunikation mit dem Therapeuten immer wichtiger.
Während vor Jahren eher „zeitliche“ Angaben die Rückkehr zum Sport nach Kreuzbandverletzungen bestimmt haben („die magischen 6 Monate“), ist jetzt eine klare Empfehlung zu „Kriterien“ basierter Sportrückkehr gegeben. Mit der Entwicklung einer objektiven Testbatterie, bestehend aus sieben funktionellen Tests mit der sich Balance, Koordination, Schnelligkeit und Kraft evaluieren lassen (BACK IN ACTION®), konnten wir zeigen dass Defizite häufig deutlich länger als 6 Monate bestehen. Diese Erfahrungen fließen heute in eine optimierte Nachbehandlung und das Aufbautraining ein.
In den 25 Jahren Kreuzbandchirurgie die wir nun überblicken haben wir vieles gelernt und viele Erfahrungen gemacht. Die Spannung und die Motivation neue Dinge zu entwickeln und voranzutreiben sind unvermindert geblieben. Nur so ist es uns möglich für unsere PatientInnen auch in den nächsten Jahren eine optimale Behandlung zu gewährleisten.