Entspannt Euch
Dehnen für die Lebensqualität
Text: Stefanie Riedler
Fünf Millionen! – So viele Ergebnisse, liefert Google in etwa beim Suchbegriff „Dehnen“. Ähnlich groß ist die Anzahl der „Experten“, die über Sinn und Unsinn des Dehnens diskutieren.
Dehnen hilft unserem Körper, beweglich zu bleiben. Vorweg – wer nicht die genetischen Voraussetzungen hat, eine Prima Ballerina zu werden, wird auch im Alter keine werden. Aber immerhin können wir die Dehnfähigkeit erhalten und sogar bis zu einem gewissen Punkt Elastizität im Gewebe dazu gewinnen.
Der Hype des Dehnens datierte in den 70er Jahren. Das Dehnen war damals dynamischer Natur, leicht wippend, und verfolgte das Ziel, ein größeres Bewegungsausmaß der jeweiligen beübten Gelenke zu erreichen. Später wurde es vom statischen Dehnen abgelöst. Hier verweilt man zwischen 30 und 60 Sekunden in der Dehnposition. Im therapeutischen Bereich kommt häufig die postisometrische Relaxation zum Einsatz. Der zu dehnende Muskel wird durch den Therapeuten bis an seine Endgrenze bewegt. Dann lässt man den Muskel, ohne die Stellung des Gelenkes zu verändern, gegen den Widerstand des Therapeuten anspannen und einige Sekunden halten. Im Anschluss ist die Spannung im Muskel geringer und man kann weiter in die eingeschränkte Richtung bewegen.
Welche Art des Stretchings ist die bessere? Wissenschaftliche Studien kommen zu unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen Ergebnissen. Vor einer Trainingseinheit, bei der Beweglichkeit gefragt ist, sollte man eher dynamisch dehnen, um den Körper auf die folgende Belastung vorzubereiten. Wir beobachten dies beispielsweise beim Fußballspieler in der Aufwärmzone kurz bevor er eingewechselt wird, oder kurz vorm Start bei einem Schirennen.
Statisches Dehnen bringt nach einer Ausdauerbelastung eine schnellere Erholung. Es gibt keine einheitlichen Angaben dazu, wie lange die Spannung gehalten werden sollte. Meist wird empfohlen, die Dehnung so lange zu halten bis eine Entspannung im Gewebe spürbar ist. Schmerzen sind während der gesamten Ausführung zu vermeiden.
Unmittelbar vor einer intensiven Krafttrainingseinheit sollte statisches Dehnen vermieden werden, denn es macht den Muskel langsam. Besser ist es nach dem allgemeinen Aufwärmen mit dem Radergometer die zu beübenden Muskelgruppen, wenn überhaupt, nur kurz anzudehnen. Uneinigkeit herrscht auch darüber ob statisches Dehnen nach einer intensiven Krafttrainingseinheit eher Mikroverletzungen im Muskel, die während des Trainings entstanden sind, begünstigt, oder ob der positive Effekt des schnelleren Abbaus von Milchsäure überwiegt, was einer schnelleren Regeneration dient.
Will man auf Nummer sicher gehen, legt man die Stretchings in trainingsfreie Zeiten. Obwohl kontrovers diskutiert, ist das Dehnen unerlässlich für ein optimales Trainingsergebnis. Nur wenn der Muskel adäquat gedehnt ist, kann ich ihn auch in seinem vollen Bewegungsausmaß kräftigen. So gehen Physiotherapie und Training ineinander über. Eine mobilisierende Physiotherapieeinheit ist die optimale Vorbereitung auf das Training und passives Dehnen am trainingsfreien Tag sorgt für die nötige Regeneration und Vorbereitung für die nächste Trainingseinheit.
Relativ neu in der Diskussion um unsere Dehnfähigkeit ist die Rolle der Faszien. Faszien beschreiben, vereinfacht gesagt, das Bindegewebe unter der Haut. Sie sind verflochten wie ein Spinnennetz und können so durch Verspannungen an einer Stelle, Schmerzen an einer weit entfernten Stelle des Körpers verursachen. Wissenschaftler aus Frankfurt haben bei Forschungen herausgefunden, dass das Dehnen der hinteren Oberschenkelmuskulatur eine direkte positive Auswirkung auf die Beugung und Streckung in der Halswirbelsäule hat. Das klingt aufs erste weit hergeholt, lässt sich aber schlüssig darstellen. Insgesamt kann man zum Thema Faszien festhalten, dass nach einer jahrzehntelangen Unterbewertung das Pendel nun in die Gegenrichtung ausschlägt.
Dehnen ist Bewegung und Bewegung ist Leben. Je älter wir werden desto unbeweglicher werden wir. Regelmäßiges Dehnen hilft unserem Körper, mobil und geschmeidig zu bleiben, Schmerzen zu vermeiden, oder sie zu lindern. Zusätzlich unterstützt ausreichende Wasserzufuhr die Gleitfähigkeit in unserem Bindegewebe. Beides regt den Stoffwechsel an und sorgt für ein ausgeglichenes Lebensgefühl.
Zurück zur Prima Ballerina: Ich kann auch keinen Spagat, aber bislang gab es noch nie den Moment, in dem ich mir dachte: „Jetzt kann nur noch ein Spagat helfen“.