Kopf-Hoch
Therapie nach Schienbeinkopffraktur
Text: Lukas Wollhofen
Unter einer Schienbeinkopffraktur versteht man einen Bruch des oberen Abschnittes des Schienbeinknochens (Tibia). Gründe dafür sind meist Sprünge aus großer Höhe, schwere Sportverletzungen oder die Einwirkungen großer Kräfte, wie etwa bei einem Verkehrsunfall.
Durch die leicht O-beinförmige Ausrichtung der Beinachse sind Brüche an der äußeren Seite des Schienbeinknochens häufiger – man spricht dann von einer lateralen Tibiakopffraktur. Eine weitere wichtige Unterscheidung liegt darin, ob es zu einer Gelenkbeteiligung des Knies gekommen ist. Für die Therapie ist entscheidend, ob Begleitverletzungen stattgefunden haben, da Schienbeinkopffrakturen häufig mit einer Verletzung des vorderen Kreuzbandes, der Seitenbänder oder der Menisken einhergehen (in etwa 63%).
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der ärztlichen Versorgung und den damit einhergehenden Vorgaben. Unterschieden wird zwischen einer konservativen und operativen Versorgung, wobei zweiteres deutlich öfter vorkommt.
Frühphase
Die erste Phase ist sowohl bei konservativer als auch operativer Versorgung geprägt von Gewichtsentlastung oder einer Teilbelastung von meist 15 kg (was in etwa dem eigenen Beingewicht entspricht). Je nach Ausmaß der Schwere der Verletzung dauert das zwischen vier und zwölf Wochen. Neben der Prävention möglicher post-operativer Komplikationen, wie der tiefen Beinvenenthrombose, ist der Umgang mit den Krücken für ein optimales Gangbild von Bedeutung. Sowohl die komplette Entlastung, als auch eine Teilbelastung des Beines sollte für ein optimales Ergebnis geübt werden.
Die weiteren Therapiemaßnahmen in dieser Phase der Rehabilitation richten sich nach den Entzündungszeichen (Schwellung, Schmerz, Rötung, eingeschränkte Funktion und Überwärmung). Zur Schwellungsreduktion eignen sich die Lymphdrainage, sowie Übungen zur Aktivierung der Muskelpumpe. Da der Musculus Quadriceps (vorderer Oberschenkelmuskel) nach Verletzungen und Operationen am Kniegelenk in seiner Ansteuerung gehemmt ist, spielen Übungen zur Aktivierung dieses Muskels eine wichtige Rolle. Unterstützt kann dies durch Schwellstrom werden.
Zur Vermeidung einer bleibenden Bewegungseinschränkung ist es wichtig, das Kniegelenk täglich im erlaubten Bereich zu bewegen und zu mobilisieren. Dieses Bewegungsausmaß wird durch den Arzt vorgegeben und hängt ebenfalls vom Ausmaß der Verletzung bzw. der Behandlungsmethode ab.
Zum Schmerzmanagement eignen sich sämtliche passiven Maßnahmen wie Weichteiltechniken, Funktionsmassagen usw. Nach Entfernung der Nähte kann man mit der Narbenmobilisation beginnen, denn je besser verschieblich Haut und Weichteile sind, umso einfacher lässt sich das Knie beugen und strecken.
Mittel- und Spätphase
Darf das Bein in weiterer Folge immer mehr belastet werden, muss das Gangbild normalisiert werden. Vor allem das Abrollen beim Gehen ist sehr wichtig, da es die physiologische Roll-Gleit-Bewegung im Kniegelenk simuliert. Für die Vollbelastung und für ein optimales Gangbild ist die volle Streckung sowie ein möglichst geringes Schmerzlevel Voraussetzung. Es gilt daher, vor allem an diesen beiden Punkten zu arbeiten. Da sich nach so einer langen Entlastungsphase der Knochen erst wieder an die Belastung gewöhnen muss, ist ein gewisser Belastungsschmerz jedoch ganz normal. Wichtig ist es, den Schmerz zu beobachten, um eine stetige Zu- bzw. Abnahme verfolgen zu können und darauf mit einer Belastungsanpassung zu reagieren. Dafür eignet sich beispielsweise eine Schmerzskala (1-10), die die subjektive Schmerzwahrnehmung täglich widerspiegelt.
Die Ziele der Endphase der Reha liegen in der Schmerzfreiheit bei Belastung. Außerdem sollte das Kniegelenk endgradig bewegt werden können. Als Referenz dient hierfür im Normalfall das nicht verletzte Bein. Ihr Physiotherapeut wird im Laufe des Behandlungsprozesses immer wieder mithilfe spezieller Tests oder einem Goniometer das Bewegungsausmaß des Knies messen. Ein weiterer relevanter Punkt liegt am Koordinationstraining, da die Gleichgewichtsfähigkeit nach Verletzungen bzw. Operationen meist Einschränkungen aufweist. Als Test dafür eignet sich sehr gut der Einbeinstand für den es vorgegebene Normwerte gibt. So sollte etwa beispielsweise ein 35-jähriger Mensch mindestens 45 Sekunden auf einem Bein stehen können. Sind hierbei Einschränkungen zu finden, kann mit geeigneten Übungen am Gleichgewicht gearbeitet werden.
Training
Krafttraining ist für die Knochenheilung essenziell, da die laufenden Umbauprozesse in der Wundheilung über den Zug der Muskeln am Knochen begünstigt werden. Belastungsvorgaben und Begleitverletzungen müssen dabei natürlich berücksichtigt werden. In der ersten Phase der Wundheilung, der Entzündungsphase (etwa 1 Woche) ist Schonung angesagt. Nach Rückgang der Entzündungszeichen kann mit Krafttraining des restlichen Körpers begonnen werden. Wichtig ist hierbei ein sicheres Setting für das verletzte Bein. Bei einer niedrigen Schmerzintensität kann noch vor der Vollbelastung mit Krafttraining der proximalen (körpernahen) Muskulatur wie der Rumpf- und Hüftmuskulatur begonnen werden. Mit einer geeigneten Übungsausführung lassen sich diese Muskeln trainieren, ohne das Verletzungsgebiet zu viel zu belasten. Wenn Vollbelastung wieder möglich ist, kommt das Training der kniestreckenden und -beugenden Muskulatur hinzu. Zu Beginn liegt der Fokus auf beidbeinigen Übungen wie Kniebeugen, Beinpresse, etc. Kann der Patient ausreichend stabilisieren und hat keine relevanten Schmerzen mehr, steigt man auf einbeinige Übungen wie Lunges, einbeinige Kniebeugen o.ä. um. Wichtig ist eine ausreichende Ausbelastung, die durch fortschreitende Gewichtssteigerung bewerkstelligt werden kann. Nach und nach werden die Einheiten mit schnellkräftigen Übungen wie Sprüngen ergänzt, die je nach sportlichem Anspruch der PatientInnen angepasst werden. Da das Risiko einer Kniegelenksarthrose in Folge einer Schienbeinkopffraktur erhöht ist, sollte das Krafttraining nach der vollständigen Ausheilung weiter durchgeführt werden.