Kleiner Bruder
Das hintere Kreuzband
Text: DDr. Elisabeth Abermann und A.O. Univ. Prof. Dr. Christian Fink und Prof. Dr. med. Mirco Herbort
Im Vergleich zu den häufigen Verletzungen des vorderen Kreuzbandes (VKB) sind Verletzungen seines kleinen Bruders, des hinteren Kreuzbands (HKB) seltener, weniger „beforscht“, aber teilweise mit erheblicher Konsequenz für das Kniegelenk behaftet. Sowohl in der operativen Therapie als auch in der physiotherapeutischen Nachbehandlung sind diese Verletzungen fordernd.
Anatomie und Biomechanik
Das HKB entspringt am inneren Teil der Oberschenkelrolle (Abb. 1) und setzt an der Hinterkante des Schienbeines ca. 15 mm unterhalb der Gelenkflächen an (Abb. 2). Es ist ein flaches, sehr kräftiges Band. Es wird von zwei Bändern begleitet (Humphry vorne und Wrisberg hinten), die das Hinterhorn des Außenmeniskus am Oberschenkel fixieren. Das HKB ist der wichtigste Stabilisator gegen hintere Translation des Schienbeines (hintere Schublade) (Abb. 3). Das gilt besonders in der Beugung. In Streckung wird die Stabilisation von den Strukturen der hinteren-äußeren und hinteren-inneren Gelenkecken übernommen. Die hintere-äußere Gelenkecke besteht im Wesentlichen aus dem Außenband und der Sehne des Popliteusmuskels. Die hintere innere Gelenkecke besteht aus dem Innenband, dem hinteren Schrägband und der Gelenkkapsel (Abb. 3).
Epidemiologie
Verletzungen treten häufig nach Hochenergietraumata auf (z.B. Dashbord injury, Motorradunfall, Abb. 4). Dann sind sie häufig mit Begleitverletzungen (z.B. zusätzliche Bandverletzungen, Nerven-oder Gefäßverletzungen) assoziiert. Bei Sportunfällen treten die Verletzungen eher isoliert, ohne Zusatzverletzungen auf. Typischer Unfallmechanismus ist der Sturz auf den oberen Teil des Unterschenkels in zumeist 90° Kniebeugung (Abb. 4).
HKB-Ruptur
Isolierte HKB-Rupturen haben ein gutes Heilungspotential. In vielen Fällen ist ein konservativer Therapieversuch erfolgreich. Auch wenn geringe Seitenunterscheide in der Stabilität bestehen bleiben, werden diese oft sehr gut toleriert und erlauben auch eine hohe Sportfähigkeit. Kombinierte Verletzungen des HKB mit den Strukturen der hinteren Gelenkecken führen jedoch häufig zu ausgedehnten chronischen Instabilitäten, die nicht so harmlos sind wie lange Zeit angenommen. Durch das nach hinten-Sinken des Unterschenkels kommt es zu einem erhöhten Druck hinter der Kniescheibe mit der Folge degenerativer Knorpelschäden. Auch an der Innenseite des Kniegelenkes werden häufig Knorpelschäden gefunden.
Diagnostik
Aufgrund ihrer Seltenheit werden Verletzungen des HKBs häufig übersehen oder fehl gedeutet. Hinweise auf eine HKB-Ruptur bietet die Inspektion und Unfallanamnese. Verdächtig auf eine HKB-Ruptur ist jede Prellmarke über dem knienahen Aspekt des Unterschenkels.
Untersuchung
Der klassische klinische Test ist der hintere Schubladen Test (Abb. 3). In 90° Beugung gleitet der Unterschenkel bei ausgeprägten Instabilitäten oft spontan leicht nach hinten. Eine größere Herausforderung ist die sichere Diagnostik kombinierter Instabilitäten bei Verletzungen der hinteren inneren oder äußeren Gelenkecken. Hier kann es hilfreich sein, einen Röntgenbildverstärker zu verwenden. (Abb. 5). Damit kann auch das Ausmaß der Verletzung gut quantifiziert und dokumentiert werden. Bei akuten Verletzungen kann die MRT wichtige Hinweise auf das Verletzungsmuster geben und die Entscheidung erleichtern, ob eine konservative Therapie erfolgreich sein könnte.
Therapie
Die Therapie hinterer Knieinstabilitäten ist ebenso komplex wie deren Diagnostik. Bei akuten Verletzungen ist von Relevanz, ob eine isolierte HKB-Ruptur oder eine Kombinationsverletzung vorliegt. Isolierte Rupturen haben aufgrund der guten Gefäßversorgung ein gutes Heilungspotential und können konservativ behandelt werden. Da dies sehr aufwendig ist, sollte dieser Weg nur gewählt werden, wenn der Erfolg vielversprechend erscheint. Kombinierte Instabilitäten benötigen fast immer eine operative Versorgung. Bei chronischen Instabilitäten richtet sich die Therapie nach dem Ausmaß der Instabilität, den Begleitverletzungen und der Beinachse.
Konservative Therapie
Der Patient wird anfangs mit einer Knieschiene in Streckstellung versorgt, die ein Polster unter der Wade hat, welche das Zurückfallen der Tibia im Liegen verhindern soll. (Abb. 6). Nach Abschwellung kann auf eine spezielle dynamische hintere Kreuzbandschiene gewechselt werden. Dabei wird bei Kniebeugung durch ein Federsystem ein Schub auf den Unterschenkel erzeugt, der dem Zurückfallen entgegenwirkt und damit den Stress auf das heilende HKB reduziert. Die Gesamtdauer der Schienenbehandlung beträgt zumindest acht Wochen. Eine Mobilisation des Kniegelenks ohne Schiene im Rahmen der Physiotherapie sollte während dieser Zeit nur in Bauchlage erfolgen, um ein spontanes nach-hinten Sinken des Unterschenkels aufgrund der Schwerkraft zu verhindern.
Operative Therapie
Bei ausgedehnten hinteren Instabilitäten und/oder Kombinationsverletzungen wird eine frühzeitige operative Stabilisierung angestrebt. Dabei werden die Strukturen der hinteren Gelenkecken genäht oder knöchern refixiert und zudem meist mit Sehentransplantaten verstärkt. Das HKB wird meist primär mit Sehnentransplantaten rekonstruiert. Dabei kommen in erster Linie die Sehnen der Kniegelenksbeugemuskulatur (M. semitendinosus und gracilis) oder ein Teil der Quadrizepssehne in Frage. Knöcherne Bandausrisse des HKBs können verschraubt und knochennahe Abrissverletzungen mit transossären Nähten fixiert werden. Für die HKB-Rekonstruktion haben wir in den letzten Jahren eine OP-Technik entwickelt, die der flachen Anatomie besser entspricht als bis dato durchführte Techniken. Dabei wird der Knochenkanal am Oberschenkel nicht gebohrt, sondern mit einer speziellen Raspel rechteckig angelegt (Abb. 7). Dies ermöglicht es dem ursprünglichen Ansatz des HKBs besser operativ gerecht zu werden.
Chronische hintere Knieinstabilitäten
Aufgrund unzureichender Behandlung der akuten Verletzung aber manchmal auch trotz optimalen konservativen Managements können HKB-Läsionen zu chronischen Instabilitäten führen. Bei chronischen Instabilitäten sind rein ligamentäre Rekonstruktionseingriffe oft nicht ausreichend. Knöcherne Korrekturen der Beinachse und/oder des Neigungswinkels des gelenkbildenden Anteils des Schienbeines sind häufig zusätzlich notwendig.
Rehabilitation nach HKB-Operation
Noch im Operationssaal wird dem Patienten eine Streckschiene mit Unterschenkelunterstützung angelegt (Abb. 6). Nach Abschwellung kann dann wieder die dynamische HKB-Schiene angelegt werden. Auch postoperativ sollte die konsequente Schienenbehandlung mindestens acht Wochen andauern. Bewegungsübungen sollen in den ersten sechs Wochen nur passiv und aktiv assistiert in Bauchlage erfolgen. Eine Aktivierung der Kniebeugemuskulatur in den ersten Wochen sollte auf jeden Fall vermieden werden. Die Kommunikation zwischen Operateur und Therapeuten ist dabei von entscheidender Bedeutung.