Verborgene Werte
Der Innenbandkomplex ist die „vernachlässigte“ Seite des Kniegelenkes

Die Verletzung des Innenbandkomplexes ist die häufigste Bandverletzung des Kniegelenkes. In den letzten Jahren sind neue Erkenntnisse über die Anatomie der einzelnen Bandstrukturen und deren biomechanische Funktion gewonnen worden.
Über viele Jahre wurden Innenbandverletzungen nahezu ausschließlich konservativ behandelt. Besonders in Kombination mit einer Verletzung des vorderen Kreuzbandes (VKB) stellt die Verletzung dieser Bandstrukturen aber eine nennenswerte Zusatzverletzung dar, auf die therapeutisch differenziert eingegangen werden muss. Viele Innenbandverletzungen können durch konservative Therapie erfolgreich ausbehandelt werden. Aktuelle Studien zeigen jedoch eine beachtenswerte Anzahl von insuffizient ausgeheilten Innenbandverletzungen, was einen Risikofaktor für eine Verletzung oder Wiederverletzung des vorderen Kreuzbandes darstellt.
Anatomie
Der Innenbandkomplex besteht aus mehreren Anteilen mit unterschiedlichem Faserverlauf und Aufgaben (Abb. 1). Das oberflächliche mediale Kollateralband (sMCL), das tiefe mediale Kollateralband (dMCL) und das hintere Schrägband (POL) gehören zu diesem Bandkomplex. Alle Bandanteile zeichnen sich durch einen sehr flächigen Verlauf und breitbasige Anheftungen am Knochen aus. Besonders im oberen Teil des Bandkomplexes verlaufen die Bandanteile in mehreren Schichten übereinander, wodurch gute Heilungschancen bei konservativer Therapie bestehen. Im unteren Teil kommt es durch den einschichtigen Bandanteil eher zur Verlagerung des gerissenen Bandstumpfes und damit zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für ein unbefriedigendes Ausheilungsergebnis.

Biomechanik
Studien haben gezeigt, dass die Innenbänder deutlich schwächere Strukturen sind als z.B. das vordere Kreuzband. Viel wichtiger sind aber die genauen Funktionsweisen der einzelnen Bandanteile in den verschiedenen Gelenkstellungen. Nur ein perfektes Zusammenspiel dieser vielschichtigen Bandstrukturen kann eine adäquate Stabilität und gleichzeitig freie Beweglichkeit gewährleisten.
Für die Stabilisation gegen Valgusstress (X-Beinstellung) ist primär das sMCL verantwortlich. Durch seinen flächigen Verlauf sind in jedem Beugewinkel einzelne Fasern maximal gespannt. Das tiefe MCL und das hintere Schrägband stellen hingegen sekundäre Stabilisatoren dar (diese sind erst relevant, wenn der primäre Stabilisator bereits verletzt ist). Die Hauptaufgabe des hinteren Schrägbandes ist die Stabilisation gegen Innenrotation, besonders im streckungsnahen Bereich. Die Außenrotationsstabilität, welche besonders in Kombination mit vorderen Kreuzbandverletzungen relevant ist, wird vor allem im streckungsnahen Bereich durch das dMCL gewährleistet, während in tieferen Beugewinkeln auch das sMCL dazu beiträgt.

Verletzungsmechanismen
Beim typischen Valgusaußenrotationstrauma in 20-40° bei einer VKB-Verletzung (z.B. bei einer unkontrollierten Landung nach einem Sprung) kommt es häufig zu einer Mitverletzung des dMCL und des sMCL, während die hinteren Anteile intakt bleiben – je nach Tiefe des Beugewinkels mit unterschiedlichem Verletzungsverletzungsniveau (in tieferen Beugewinkeln werden eher die unteren Bandanteile verletzt). Bei schwerwiegendem Valgustrauma in Streckstellung oder in Kombination mit einer Überstreckung (z.B. Hineinstürzen eines Mitspielers in das gestreckte Knie von außen), kommt es eher zu Verletzungen des hinteren Schrägbandes und der dorsalen Anteile des sMCL mit oder ohne Beteiligung des hinteren Kreuzbandes.
Diagnostik
Meistens können sich die Patienten daran erinnern, dass das Knie nach innen weggeknickt ist. Verdächtig auf eine sMCL-Verletzung ist eine Schwellung auf der Innenseite des Kniegelenkes. Besonders gut zu erkennen ist diese im unteren Bandanteil. Eine schmerzhafte Druckempfindlichkeit auf der Innenseite des Knies im Verlauf der einzelnen Bandstrukturen kann auf eine Innenbandverletzung hinweisen. Eine Stabilitätsuntersuchung mit Valgusstresstest (Abb. 2) in vollkommener Streckung (seitengleich zur Gegenseite) und in ca. 30° Beugestellung sowie eine Art Schubladentest bei 90° gebeugtem Knie (der Unterschenkel wird in Bezug auf den Oberschenkel nach vorne und hinten gedrückt) wird in Neutral-, Innen- und Außenrotation durchgeführt. Ergibt sich ein Unterschied zur Gegenseite so erhärtet sich der Verdacht auf eine Instabilität des Innenbandkomplexes. Bei der bildgebenden Diagnostik ist die Magnetresonanztherapie der goldene Standard (s. S. 17 Dr. Florian Koppelstätter)
Eine weitere Möglichkeit der Einschätzung der Instabilität des Innenbandkomplexes ist die arthroskopische Beurteilung. Vor allem in Kombination mit VKB-Verletzungen kann auch die Rotationsinstabilität dynamisch unter Sicht untersucht werden, weshalb bei geringen Instabilitäten eine Entscheidung für oder gegen einen rekonstruktiven Eingriff gelegentlich erst während der Operation getroffen werden kann.
Therapie
Isolierte Verletzungen des dMCL und oberschenkelseitige Verletzungen des sMCL ohne wesentliche Verlagerung der Bandstümpfe zeigen ein gutes Heilungspotential bei konservativer Therapie. Wichtige Voraussetzung ist eine Stabilität in voller Streckung. In diesem Fall sind eine Orthese (Abb. 6) und Physiotherapie angezeigt. Liegen Abrissverletzungen direkt von den knöchernen Anheftungsflächen sowie eine ausgeprägte Instabilität vor, sollte eine zeitnahe operative Versorgung mit Refixation der Bandstümpfe mittels Fadenankern durchgeführt werden.
Eine Verletzung des unteren Anteils des sMCL ist ein besonderer Fall. Dieses kann über einen Muskelansatz verlagert werden („Stener like lesion“) und hat damit keinen Kontakt mehr zur Anheftungsfläche. Diese Verletzung heilt ohne operative Versorgung nicht stabil aus.

Rekonstruktion des Innenbandkomplexes
Kommt es zu einer hochgradigen Verletzung im Bandverlauf abseits der Anheftungsareale (z.B. auf Höhe des Gelenkspaltes) mit großer Instabilität kann eine offene Naht der stark zerfaserten Bandstümpfe technisch schwer umsetzbar sein. Hier kann eine Naht der gerissenen Bandanteile in Kombination mit einer Verstärkung (z.B. der Sehne von der Innenseite des Oberschenkels) gute Ergebnisse liefern.
In chronischen Situationen und großen Instabilitäten reicht diese Verstärkung oft nicht mehr aus und es muss eine Rekonstruktion mit einem freien Transplantat durchgeführt werden. In letzter Zeit haben sich Rekonstruktionstechniken mit flachen Transplantaten etabliert. Diese ermöglichen es, dass über den gesamten Bewegungsumfang hinweg immer einzelne Bandanteile gespannt sind und somit die adäquate Stabilität bieten. Auch innenseitiger Drehinstabilität besonders in Kombination mit VKB-Verletzungen wird nun mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Sowohl außen- als auch innenseitig am Kniegelenk gibt es schräg verlaufende Fasern, die das vordere Kreuzband unterstützen. Ihre Rekonstruktion reduziert das Risiko einer Reruptur.
Nachbehandlung
Noch im Operationssaal wird dem Patienten eine Schiene angelegt. Mit der Orthese kann eine funktionelle Behandlung mit 2-4 Wochen Teilbelastung und anschließender Aufbelastung durchgeführt werden. Eine konsequente Schienenbehandlung für mindestens 6 Wochen ermöglicht ein stabiles Heilungsergebnis. Die begleitende Physiotherapie sorgt für Schwellungsreduktion, gute Beweglichkeit und versucht den Muskelabbau in der Anfangszeit zu reduzieren.