Persönlichkeit von Verletzungen

Eine Diagnose – verschiedene Ansprüche – zu diesem Thema referierten und diskutierten die Experten des Interdisziplinären Symposiums der Sporttherapie in den Welser Minoriten.

Es gibt keine banale Sportverletzung, denn die kleinste Verletzung kann durch außergewöhnliche Begleitumstände besondere Bedeutung erlangen. Der Bruch der Kleinzehe kann für manchen einen willkommenen Grund für einen Krankenstand bedeuten. Für einen Triathleten, der ein ganzes Jahr auf den Ironman hintrainiert hat, ist es eine Katastrophe. Zwischen diesen Extremen liegt die Bandbreite, in der ein und dieselbe Verletzung von Betroffenen wahrgenommen wird“, so Prof. Christian Fink im Eröffnungsvortrag. Der Eindruck, dass bei Spitzensportlern der Heilungsprozess schneller vonstatten geht, täuscht. Das Heilen einer Struktur braucht immer gleich lang. Profisportler nehmen allerdings oftmals beim frühen Wiedereinstieg ein erhöhtes Risiko in Kauf, was für den Otto Normalverbraucher unvernünftig wäre.

Entlang der großen Gelenke (Knie, Hüfte, Schulter) wurden die Optionen aufgezeigt, die der  Behandler hat, um auf den persönlichen Anspruch des Patienten einzugehen. Es ging um die Kernfrage: Was sind die Möglichkeiten und Grenzen von Medizin à la carte?

So individuell angepasst die Interventionen und Therapiepläne bei ein und demselben Verletzungsbild sein können, um der Persönlichkeit von Verletzungen Rechnung zu tragen, so kristallisierten sich doch drei Punkte als themen- und patientenübergreifender Konsens heraus:

  • Ziele, Ziele, Ziele, … Arzt und Therapeut müssen ehestmöglich, abhängig vom Anspruch des Patienten, gemeinsam neue Ziele entwickeln und konsequent verfolgen.
  • Business as usualUnter Berücksichtigung von Verletzung und Persönlichkeit ist es anzustreben, das gewohnte Leben möglichst normal weiterzuführen.
  • Keine Zeit für LeidPunkt eins und zwei dienen auch dazu, dass der Patient keine Zeit für Selbstmitleid hat. Sich Zeit zu nehmen, um zu leiden ist der Kardinalfehler jeder Reha.

 

Interdisziplinäres Symposium der Sporttherapie in den Welser Minoriten

Die Experten

„Die Tatsache, ob ein Trauma eine völlige Ausheilung erlaubt oder nicht, beeinflusst die Situation von Patient und Arzt entscheidend. Vollständige Wieder­her­stellbarkeit heißt, die Verletzung als Chance zu betrachten. Ziel muss es sein, nach der Rückkehr ein höheres Niveau zu erreichen, als vorher. Teilweise Wieder­herstellung bedeutet, Alternativen zu suchen und umzusetzen, sei es in der Sporttechnik, Trainings­methodik, etc. Ist eine Wiederherstellung unmöglich, so erwartet den Patienten eine massive Veränderung des Lebensstils“. Univ. Prof. Dr. Christian Fink

„Der Faktor Zeit hebt die Unterschiede zwischen der Semitendinosus- und der Patellasehenenplastik auf. Nach sechs Monaten sind die Ergebnisse vergleichbar. Vorher zeigen sich beim Semitendinosusimplantat schwächere Beuger, beim Patellasehnenimplantat schwächere Strecker.“ Alex Enzinger, BSc

„Erfreulich ist, dass es in den letzten Jahren trotz eines Anstiegs in der Prothetik keine Steigerung bei den Revisionen gab. Das Frauenknie (spezielle Prothese für Frauen) ist ein Thema“. Dr. Christian Patsch

„Stark vereinfacht kann man sagen, die Kniescheibe luxiert bei der unter 20jährigen Frau. Obwohl die Zielgruppe derart eingeschränkt ist, ist die Therapieempfehlung bei der ersten Luxation äußerst schwierig und verlangt die ganze Expertise des erfahrenen Unfallchirurgen“.  Dr. Florian Dirisamer

„Besteht bereits eine Coxarthrose mit struktureller Schädigung der Hüfte, so kann der beste Therapeut nur mehr eine Beschwerdelinderung erreichen. Muskelaufbauendes Krafttraining zeitigt in diesem Stadium auch nicht mehr den gewünschten Erfolg. Hier hilft nur der erfahrene Operateur. Bei PatientInnen, die in der bildgebenden Diagnostik keine strukturellen Veränderungen zeigen, und über Hüftschmerzen klagen, ist das ganze Können des erfahrenen Therapeuten gefragt. Dann beginnt die Spurensuche nach der funktionellen Ursache der Schmerzen“. Stefanie Riedler, MSc

„Als Haupteinflussfaktor auf das Krankheitsbild einer Hüfte überragt das Alter bei weitem Geschlecht und Lifestyle“ Prim. Dr. Reinhold Dallinger

„Die Kernfrage ist immer, ist der Schaden an der Rotatorenmanschette degenerativ oder traumatisch, bzw. was dominiert. Bei Sportlern beobachten wir häufig Degenerationen, denn sie haben meist Vorschäden“. Dr. Jürgen Kleinrath

„Übergeordnet muss man bei der Schultertherapie immer die Dyskinese im Auge behalten. Hypertrophietraining macht nur Sinn in einem zentrierten Gelenk“. Karin Tresohlavy, MSPhT, MSc

„Objektive Schmerzmessung ist an sich komplex, erst recht, wenn man weiß, dass neben der funktionellen Schmerzursache viele externe Faktoren eine Rolle spielen, die man nicht gleich auf der Rechnung hat. Personen mit einem BMI unter 30 sprechen auf vergleichbare Therapie besser an, also solche mit einem höheren BMI. Frauen sind schmerztoleranter, bei vergleichbarer Verbesserung des Schmerzniveaus geben 70 % der Frauen eine Steigerung der Lebensqualität an, bei Männern hingegen nur 60 %. Sport beeinflusst das Schmerzempfinden positiv. Wenn man ein bis dreimal pro Woche Sport betreibt, bleibt das Schmerzniveau unten, hört man mit dem Sport auf, steigt das Schmerzniveau.“ Dr. Wolfgang Stelzer

„Training und Therapie: Der Drill geht vor, aber die psychologische Intervention ist eine wichtige Begleitmaßnahme. Untersuchungen zeigen auch, dass ideomotorisches Training den Wiedereinstieg enorm erleichtert“.  Prim. Prof. Mag. DDr. Anton Wicker

„Wer die Situation einer Verletzung beim Sportler verstehen will, muss den Sportler verstehen. Er braucht es, zu performen, das ist sein Leben, das ist seine Authentizität“. Mag. Sandra Lahnsteiner