Schulterzuc ken
Ob Unfall oder Abnutzung, einen Riss der Rotatorenmanschette darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Franz M. (67) ist ein ambitionierter Schifahrer und Freizeitsportler. Tennis, Golf, Bergwandern, Schwimmen und Rennradeln sind seit vielen Jahren seine Passion. Bei einer Schitour zum Jahresanfang stürzt er beim Abfahren in einem unachtsamen Moment auf den ausgestreckten rechten Arm. Sofort schießt ein stechender Schmerz in die rechte Schulter. Nach einer Weile geht es wieder einigermaßen, der Arm fühlt sich aber schwach an und er kann den Schistock nicht mehr ordentlich halten. Die restliche Abfahrt ins Tal gelingt nur beschwerlich. „Ich hab‘ gedacht, jetzt hast Dir die Schulter halt g’scheit verrissen…“ sagt Franz M. später. Also ist er in die Sauna und dann früh ins Bett… wird schon wieder…
Die Nacht war nicht gut. Von der einen Seite zur anderen gedreht, jedes Mal mit Schmerzen… Geschlafen? „Naja, ned viel… ich bin dann aufgestanden und im Wohnzimmer auf und ab gegangen. Dann war’s besser!“ Am nächsten Tag sagt Elisabeth M. zu Ihrem Mann, er soll doch mal zum Arzt. Nach der Untersuchung durch den Arzt und der notwendigen Bildgebung der Schulter mit Röntgen und MRT steht fest: Abriss der Rotatorenmanschette.
Da erinnert sich Elisabeth M., dass sie damals genau die gleichen Beschwerden gehabt hat, nur gestürzt ist sie nicht und es ist ganz langsam losgegangen und dann immer schlimmer geworden. Sie hat damals vom Arzt die gleiche Diagnose erhalten wie jetzt ihr Mann nach dem Unfall.
Was ist also beim Ehepaar M. passiert?
Fangen wir von vorne an: Die sogenannte Rotatorenmanschette besteht aus hauptsächlich vier Muskeln mit ihren Sehnen, die von vorne, oben und hinten den Oberarmkopf umfassen und so die Rotation der Schulter und das Anheben des Armes ermöglichen. Der Oberarmkopf wird nur von diesen Sehnen und der Gelenkkapsel mit ihren Bändern in der Schulterpfanne gehalten. Letztlich kann man sich das vorstellen, wie eine Kugel, die auf einer Tischplatte liegt. Wenn man sie auf der Stelle drehen will, braucht es ein präzises Zusammenspiel der Kräfte, sonst rollt die Kugel vom Tisch herunter. Bei der Schulter ist das nicht anders. Wenn der Arm bewegt wird, muss eine ausgeklügelte Koordination der Muskulatur den Oberarmkopf im Drehzentrum der Schulterpfanne halten. Man kann sich gut vorstellen, wenn eine oder mehrere Sehnen der Rotatorenmanschette verletzt sind, dann funktioniert das nicht mehr. Der Oberarmkopf „rollt“ aus der Pfanne heraus und stößt an angrenzenden Knochen an. Das tut beim Bewegen weh. Nachts ist der Schmerz aber oft sogar noch schlimmer, da der kräftige Schulterkappenmuskel, der über der Rotatorenmanschette vom Schultereck zum Oberarm zieht, mit seiner Spannung den Oberarmkopf nach oben aus der Mitte rückt. Im Liegen wirken ihm das Gewicht des Armes und damit der Zug nach unten nicht entgegen.
Wie kommt es nun zu Rissen der Sehnen?
Sehnen übertragen die Kraft eines Muskels auf den Knochen. Sie bestehen aus einem sehr stabilen faserig angeordneten Bindegewebe. Daher ist eine Sehne ein relativ wenig durchblutetes Gewebe im Körper, das im Laufe des Lebens einer gewissen Abnutzung unterliegt. Diese ergibt sich aus der relativ geringen Regenerationsfähigkeit (auch aufgrund der geringen Durchblutung) und der dauerhaften Belastung im Alltag und beim Sport. Es kommt auch bei normaler Belastung zu mikroskopischen Sehnenschäden, die immer wieder verheilen. Jedoch dauert dieser Heilungsprozess mit zunehmendem Alter immer länger, so dass häufig schon die nächste „Mikroverletzung“ durch Arbeit oder Sport – wohlgemerkt ohne Unfall – stattfinden kann, bevor die vorherige komplett verheilt ist. Dies ist der Prozess der Abnutzung oder Degeneration der Sehne.
Franz M. hat in seiner Jugend als Schirennläufer viel schlimmere Stürze ohne Verletzungen heil überstanden und Beschwerden hat er an der Schulter auch noch nie zuvor gehabt.
Beim Sturz von Franz war die Sehne – ohne Symptome zu machen –in der mikroskopischen Struktur bereits etwas geschädigt und konnte dann bei einem doch relativ banalen Sturz abreißen. Bei seiner Frau Elisabeth war dagegen kein Unfall die direkte Ursache, sondern wohl eher die Summe der Mikro-Verletzungen, die dann letztlich auch zum Versagen der Rotatorenmanschettensehne geführt hat.
Was kann man dagegen tun?
Leider ist der Prozess der Strukturveränderungen in der Sehne nicht nachweislich beeinflussbar. Es ist in gewissem Ausmaß letztlich ein normaler Ablauf, ein Degenerationsprozess. Durch gezielte Belastung kann man die Sehne durchaus trainieren und etwas elastischer halten. Komplett vermeiden, dass es einem ähnlich wie Franz oder Elisabeth ergeht, kann man aber auch dadurch nicht. Umgekehrt bedeutet das aber auch nicht, dass es einem genau so ergehen muss wie unserem Ehepaar M.
Falls also Beschwerden an der Schulter in dieser Art auftreten, sollten die Ursachen und das Ausmaß genau abgeklärt werden. Nur so lässt sich die richtige und zielführende Therapie einer Rotatorenmanschettenverletzung festlegen. Häufig kann man die gestörte Funktion durch gezielte Physiotherapie wiederherstellen und kleinere Sehnendefekte vollständig kompensieren. Wenn das allerdings nicht zufriedenstellend erreicht werden kann oder die Verletzung zu groß ist, sollte man auch eine Operation in die Überlegungen mit einbeziehen. Denn ein vollständiger Abriss einer Sehne bedeutet, dass der betroffene Muskel seine Kraft nicht übertragen kann. Um das wieder zu ermöglichen ist eine Naht der Sehne dann oft unumgänglich.