Operation Schlüsselloch
Die Arthroskopie – oder auch Gelenkspiegelung ist wohl die am Häufigsten genutzte Methode in der modernen gelenkerhaltenden Chirurgie. Viele der heute durchgeführten Operationstechniken wären ohne den Blick mit der Kamera direkt zum Ort des Problems gar nicht machbar. Grund genug auf diese Methode aufmerksam zu machen und auf die Pioniere zurückzublicken. Die Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA) tut dies am 1. Februar: dem „Tag der Arthroskopie“.
Noch nie war es so einfach wie heute einen Diagnoseverdacht durch eine bildgebende Untersuchung zu bestätigen. Hoch aufgelöste MRT-Untersuchungen zeigen uns in nahezu fotografischer Präzision auch kleinste Veränderungen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war daran nicht zu denken. Lediglich die klassischen Röntgenaufnahmen waren möglich, selbst Ultraschall wurde erst in den 1950er Jahren eingeführt.
Am Anfang stand der Traum eine Diagnose stellen zu können
Chirurgen und Orthopäden aus Europa, Nordamerika und Japan forschten zeitgleich an Möglichkeiten, Entzündungen und Verletzungen im Kniegelenk mittels eines eingeführten Endoskops erkennen zu können. Erstmals versuchte sich 1912 der dänische Chirurg Severin Nordentoft an einer Spiegelung des Kniegelenks. Er verwendete dazu ein modifiziertes Cystoskop (Instrument zur Blasenspiegelung), wobei bis heute unklar geblieben ist, ob Nordentoft die Methode an Patienten oder Kadavergelenken angewendet hat. Der Schweizer Eugen Bircher führte die Arthroskopie ab 1919 als diagnostische Methode am lebenden Patienten ein und veröffentlichte zwei Jahre später die erste Studie, in der er über 19 Fälle berichtete. Bircher konnte damit Meniskusverletzungen diagnostizieren, welche er anschließend in einer offenen Operation behandelt hat. Er gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der Methode. Letztlich mussten alle Pioniere ihre Bemühungen früher oder später wieder einstellen, weil die damaligen Instrumente nicht geeignet waren, ausreichend gute Einblicke in das Innere des Gelenks zu geben.
Der Hartnäckigkeit und dem Entwicklergeist des Japaners Kenji Takagi ist es zu verdanken, dass diese technischen Schwierigkeiten gelöst werden konnten. Er konnte den Durchmesser des Arthroskops verringern und machte 1935 das erste Schwarzweißfoto aus einem Kniegelenk. An die Verwendung einer Kamera mit Bildschirm – mit entsprechender Vergrößerung – war damals nicht zu denken, der direkte Blick des Orthopäden durch die Optik war notwendig. Es brauchte also noch viele technische Weiterentwicklungen ehe Masaki Watanabe, ein Schüler Takagis, im Jahr 1955 die erste arthroskopische Operation – eine Meniskusteilresektion durchführen konnte.
Von Japan über Kanada und die USA erreichte die Arthroskopie auch Europa, wo dann in der Folge wesentliche technische Innovationen gemacht wurden. Dadurch war Mitte der 1970er Jahre der Weg für die Gelenkspiegelung nicht nur als diagnostisches Mittel, sondern auch als chirurgische Methode geebnet.
„Warum soll man durch ein Schlüsselloch gucken, wenn man die Tür öffnen kann?“
Die sich zunehmend auf die Arthroskopie spezialisierenden Chirurgen trugen ihre OP-Erfolge in die Welt hinaus. Sie erhielten viel Lob und Anerkennung für ihre Fotografien aus den Kniegelenken, doch die Skepsis der damals führenden Chirurgen und Orthopäden blieb noch bis Ende der 70er-Jahre bestehen. Ganz entscheidend für den Siegeszug der Arthroskopie waren wieder technische Weiterentwicklungen, insbesondere die Chipkamera, mit der erstmals ausreichend helle Bilder auf einen Monitor projiziert wurden. Die Operationen konnten damit nun auch vollständig steril ausgeführt werden.
Der endgültige Durchbruch für die arthroskopischen Operationen trat mit der Entwicklung von feinen, starken und flachen Instrumenten mit langen Stielen ein. Die Entwicklung der Magnetresonanztomografie (MRT) in den 80er Jahren hat die Bedeutung der Arthroskopie als diagnostische Methode natürlich stark verändert. Heute wird sie fast ausschließlich therapeutisch angewendet und kommt bei Verletzungen oder degenerativen Veränderungen bei allen großen Gelenken zum Einsatz. Dazu zählen insbesondere das Kniegelenk, Schultergelenk, Sprunggelenk, Hüfte, Ellenbogen und Handgelenk.
Dabei haben sich in der Folge die chirurgischen Techniken so weit entwickelt, dass sich die Mehrzahl der früher in großen offenen Operationen durchgeführten Eingriffe heutzutage rein arthroskopisch über einige sehr kleine Hautschnitte durchführen lassen. Die Bildqualität der Darstellungen aus dem Gelenk ist dann mit 4K-Video ultrahochauflösend. Dadurch lässt sich das Vorgehen extrem präzise kontrollieren und die Belastung durch den Eingriff so minimal halten, wie noch nie zuvor. Durch die Entwicklung der arthroskopischen Chirurgie lassen sich so inzwischen nicht nur Gelenkschäden reparieren, die früher nicht erreicht werden konnten, sondern auch die Zeit bis zum Beginn der Rehabilitation und zur Ausheilung hat sich vielfach drastisch verkürzt. Die Arthroskopie ist für die PatientInnen spürbarer medizinischer Fortschritt.
Expertenstatments
Peter Gföller: „Gerade an der Hüfte wurde es durch die Arthroskopie erst möglich, Operationen im Gelenk ohne vollständiges Ausrenken der Hüfte durchzuführen. Das ist ein Meilenstein der Hüftchirurgie.“
Florian Dirisamer: „Die Entwicklungen am technischen Sektor sind beeindruckend. Die optische Qualität hat mittlerweile den Ultra-HD Standard erreicht. Die Instrumente und Implantate lassen uns immer noch mehr Techniken arthroskopisch und mit höherer Präzision durchführen. Das kommt direkt dem Patienten zu Gute!“
Christian Patsch: „Viele Eingriffe sind durch die arthroskopische Technik nicht nur weniger invasiv, sondern überhaupt erst möglich geworden. Die Techniken sind zum Teil sehr komplex. In den Händen von Experten sind heute auf schonende Weise Dinge möglich, an die noch vor 10 Jahren nicht zu denken war.“
Christian Fink: „Erst seit der Einführung der Arthroskopie verstehen wir durch die Sicht ins Gelenk inzwischen viele Verletzungen und können diese dann auch erfolgreich behandeln. Ein gutes Beispiel dafür ist der Meniskus im Knie.“
Sepp Braun: “Die moderne Schulter- und Ellenbogenchirurgie wäre ohne die Arthroskopie nicht denkbar. Das Arthroskop ermöglicht dem geübten Operateur Gelenkverletzungen minimal-invasiv zu reparieren, die früher nicht einmal erkannt wurden.“ Christian Hoser: “Durch die Entwicklung der Arthroskopie hat sich für die Patienten die Belastung einer Operation maßgeblich verringert. So sind viele Patienten zum Beispiel nach einer Kreuzbandoperation schon nach zwei Wochen wieder ohne Krücken auf den Beinen.“