Leicht zu schultern?
Das Gleichgewicht der Gegenkräfte ist alles bei Arthrose in der Schulter
Die Schulter des Menschen hat einen sehr komplexen anatomischen Aufbau, um den enorm hohen funktionellen Anforderungen gerecht zu werden. Beweglichkeit und Stabilität, aber auch grobe Kraft und Feinmotorik müssen in einer ausgewogenen Balance zueinander stehen. Genau dies ermöglicht die einzigartige Leistungsfähigkeit dieses Gelenkes, erklärt aber auch seine Anfälligkeit.
Arthrose an der Schulter bedeutet, so wie an jedem anderen Gelenk auch, vorzeitigen oder übermäßigen Verschleiß des Gelenkknorpels. Die Belastung durch Gewicht ist in der Regel an der Schulter deutlich geringer als an den Knien oder der Hüfte, da wir ja nicht den ganzen Tag im Handstand gehen. Das mag mitunter ein Grund sein, dass Knorpelschäden an der Schulter relativ lange unbemerkt bleiben können und erst im weit fortgeschrittenen Stadium durch Beschwerden auffällig werden.
Instabilität oder Steifigkeit?
Durch einen Unfall kann ein Knorpelschaden sowohl am Oberarmkopf als auch an der Schulterpfanne entstehen. Am häufigsten passiert das, wenn die Schulter ausgerenkt wird. Der Oberarmkopf wird aus der Pfanne geschlagen und dabei entstehen oft schon beim ersten Mal Knorpelschäden am Rand der Schulterpfanne und am Oberarmkopf. Aber auch wenn die Schulter nur “fast” auskugelt oder man direkt auf die Schulter stürzt, kann es zu solchen Schäden kommen.
Eine verbleibende Instabilität der Schulter kann, auch ohne vollständiges Ausrenken des Gelenkes, die Druckbelastung und die Scherkräfte punktuell im Gelenk erhöhen und dadurch weitere Verschleißerscheinungen des Knorpels auslösen. In der Folge kann sich daraus eine Instabilitätsarthrose entwickeln. Allerdings kann auch durch zu hohen Druck im Gelenk, zum Beispiel bei einer Steife der Schulter, letztlich ein „zu stabiles“ Gelenk, die Belastung des Knorpels zunehmen und dadurch die Abnutzung begünstigen.
Das Gleichgewicht aus Beweglichkeit und Stabilität spielt also eine große Rolle.
Muskeln, Sehnen und die Zentrierung des Gelenks
Die Stabilität der Schulter ermöglicht, dass sich der Oberarmkopf immer mit einem nahezu gleichbleibendem Drehzentrum über der Schulterpfanne bewegt. Das bringt eine gleichmäßige Verteilung der Kräfte auf den Knorpel mit sich und schützt vor Abnutzung. Neben der oben genannten Instabilität kann auch durch ungleichmäßige Kraftentwicklung der sogenannten Rotatorenmanschette die Schulter beim Bewegen aus der Balance geraten, der Drehpunkt dezentriert.
Durch stetige Belastung der Schulter, zum Beispiel durch schwere Arbeit oder auch intensiven Kraft- oder Überkopfsport kann es nicht nur zum Verschleiß des Gelenkknorpels, sondern auch der Sehnenansätze der Rotatorenmanschettenmuskulatur kommen. Dafür sind letztendlich sogenannte Microtraumata verantwortlich, die als einzelne Verletzung nicht wahrgenommen werden, aber durch eine Überlastung des betroffenen Gewebes zu einer dauerhaften Schädigung führen. Über die Zeit summieren sich diese Kleinst-Verletzungen und werden dann später durch Schmerzen auffällig. Wenn nun die Sehne reißt, kann die Kraft der Rotatorenmanschettenmuskulatur nicht mehr übertragen werden, folglich ensteht ein Ungleichgewicht der Kräfte und somit eine Dezentrierung des Oberarmkopfes in der Schulterpfanne. Dadurch wird der Knorpel mehr belastet. Die Schulter “schleift sich ein“ und es folgt eine Schulterarthrose.
Einfach Arthrose?
Auch an der Schulter gibt es die sogenannte „primäre Arthrose“, also ein übermäßiger Verschleiß des Knorpels ohne dass eine äußere Ursache, wie ein Unfall oder eine direkte Verletzungsfolge zugrunde liegt. Daneben gibt es auch noch seltenere Auslöser für eine Arthroseentwicklung wie zum Beispiel Rheumaerkrankungen, Infektionen oder andere internistische Krankheitsbilder, die dann aber in der Regel nicht eine Schulter alleine betreffen.
Gleichgewichte wiederherstellen und Vorbeugen
Wenn an der Schulter Ungleichgewichte entstanden sind, sollte man diese durch eine gezielte Behandlung wieder ausgleichen. Bei Teilsteifigkeit können physiotherapeutische Maßnahmen erfolgreich sein, die Schulter wieder beweglicher zu machen, gezieltes Training der Muskulatur kann Instabilitäten und Dezentrierungen ausgleichen. Beides kann die mechanische Belastung im Gelenk und vor allem häufig auch die Beschwerden reduzieren.
Strukturelle Verletzungen nach einer Schulterluxation und Sehnenabrisse müssen oft operiert und damit repariert werden, um die Funktion und die Gleichgewichtskräfte wiederherzustellen, bevor es verfrüht zu einer Arthrose kommet.
Zu spät?
Ist es jedoch schon eine echte Arthrose im Gelenk vorhanden, muss zunächst die Situation durch eine körperliche Untersuchung, Röntgen- und MRT-Bilder genau analysiert werden
- Wie ist die Schmerzsituation?
- Wie steht es um die Beweglichkeit und Kraft der Schulter?
- Wie weit sind die Schäden an Knorpel, Knochen und Sehnen fortgeschritten?
Konservative Maßnahmen
Die konservative Therapie der Schulterarthrose konzentriert sich auf die Beweglichkeit und Kräftigung der Muskukatur, die den Oberarmkopf und das Schulterblatt führt. Auch mit physikalischen Maßnahmen (Massagen, Bäder, Kühlen und Wärme), Infiltrationstherapien und gezielter aber vorrübergehender entzündungshemmender Schmerzmedikation können positive Wirkungen erzielt werden.
Ist eine Operation notwendig?
Wenn trotz aller konservativen Bemühungen die Beschwerden nicht mehr ausreichend in den Griff zu bekommen sind, regelmäßig Schmerzen auftreten, die den Alltag und die Nachtruhe stören, oder die Kraft und Funktion der Schulter so schlecht wird, dass Alltagsbewegungen nicht mehr oder nur teilweise machbar sind, ist eine Operation meistens unabwendbar.
Gelenkerhaltende Operationen
Bei Arthrosepatienten mit einer intakten und gut funktionierenden Rotatorenmanschettenmuskulatur kann durch einen arthroskopisch-minimalinvasiven Eingriff das Schultergelenk wieder beweglicher gemacht werden und der Anpressdruck der verschlissenen Gelenkflächen lässt sich vermindern. Dazu wird die Gelenkkapsel kontrolliert unter Sicht eingekerbt, es werden Knochenanbauten abgetragen und die schmerzverursachende lange Bizepssehne versetzt. Dadurch lassen sich die arthrosebedingten Beschwerden deutlich lindern. Wieder eine gute Alltagstauglichkeit der Schulter und gute Sportfähigkeit zu erreichen ist das Ziel. Dieses Verfahren ist eine etablierte Möglichkeit für Patienten die Gelenkabnutzung zu verzögern und Zeit bis zu einer eventuellen Schulterprothese zu gewinnen. Um ein gutes Ergebnis nach der arthroskopischen Operation zu erzielen muss nach dem Eingriff die Beweglichkeit durch manuelle Therapie und die Kräftigung der Muskulatur durch gezieltes Muskelaufbautraining unterstützt werden.
Die anatomische Schulterprothese
Hat sich das Gelenk zwischen Oberarmkopf und Schulterpfanne jedoch schon zu weit abgenutzt, ist ein anatomischer Gelenkersatz die Lösung. Seit weit über zehn Jahren hat sich die schaftfreie Prothese mit ausgezeichneten Ergebnissen etabliert. Dabei werden die verschlissenen Gelenkflächen durch anatomisch ausgeklügelte Prothesenteile ersetzt. Ein großer Schritt hat sich in der Entwicklung der anatomischen Schulterprothesen getan, so schaffen die aktuellen neuen Schulterprothesen eine sehr viel bessere Funktion und eine längere Haltbarkeit des neuen Gelenks als die früheren Prothesen, da auf früher übliche starre und nicht ausreichend anpassbare Verankerungen verzichtet werden kann.
Die inverse Schulterprothese
Die sogenannte inverse Schulterprothese vertauscht bei der Implantation den Oberarmkopf und die Pfanne. Auf diese Idee kam in den 80er Jahren ein französischer Chirurg namens Grammont. Der Grundgedanke war, den Oberarm auch bei nicht mehr funktionstüchtiger Rotatorenmanschette in einer zentrierten Position zu halten und dadurch über den sehr kräftigen Schulterkappenmuskel (Deltamuskel) eine schmerzfreie Bewegung des Armes zu erlauben. Inzwischen ist dieses bahnbrechende Konzept in vielen Evolutionsstufen weiterentwickelt und verfeinert worden. Intensive biomechanische Untersuchungen haben gezeigt, dass durch eine Verlagerung des Drehpunktes nach außen und eine steilere Stellung der am Oberarm befestigten schalenartigen Pfanne eine noch bessere Funktion erreicht werden kann. Jede Prothese sollte vor einer Operation virtuell dreidimensional geplant werden, um die genaue individuelle Position der Implantate zu berechnen und damit die idealen Kraftvektoren für eine optimale Funktion zu erreichen.
Durch die sehr schnell erreichbaren überzeugend guten Ergebnisse und die lange Haltbarkeit hat die inverse Prothese bei der Schulterarthrose in den letzten zehn Jahren massiv an Bedeutung gewonnen.
Fazit
Gegensätze ziehen sich an. Aber sie müssen sich auch die Waage halten, damit ein System im Lot bleibt. Das gilt für sehr vieles auf dieser Welt und so auch für die Schulter. Die braucht für eine gute und schmerzfeie Funktion eine ausgewogene Balance zwischen Beweglichkeit und Stabilität, zwischen Kraft und Präzision und natürlich eine gute Gleitfähigkeit der Gelenkpartner. Durch individuelle und zielführende Behandlung der Schulterarthrose können die Gleichgewichte erfolgreich wieder hergestellt werden.