Wiener Melange
Kaffeehauskultur
Wenn der Kellner Ober heißt, der Milchkaffee Melange und der Imbiss Gabelfrühstück ist man im original Wiener Kaffeehaus angekommen.
„Herr Ober, ich habe für 11.oo Uhr einen Billardtisch bestellt“. „Sehr wohl, der Herr. Soll ich ihn hereinbringen, oder bemüht sich der gnädige Herr zum Tisch?“, so die Antwort des Obers auf die Urgenz des gespreizten Schnösels.
Der sprichwörtliche Charme des Wiener Kaffeehauskellners ist auch im dritten Jahrtausend ungebrochener Teil der Atmosphäre, und davon hat das typische Café eine Überdosis: Thonetstühle, Spiegel, Marmortischchen, Zeitungsgestelle aus Bugholz, barocke Luster und Plüschbänke erheben Kaffeetrinken zur Kultur.
Dereinst war das Kaffeehaus tatsächlich kulturelles Zentrum und Heimat der Künstler. Der berühmteste Kaffeehausliterat, der heute noch als Papiermaché-Figur im Café Central sitzt, war Peter Altenberg. Der Kaffeehaus-Diogenes besaß nie eine eigene Wohnung und hatte auf seiner Visitkarte die Adresse Wien 1, Herrengasse, Café Central, stehen. Johann Strauß, Sohn und Vater stellten selbstverständlich im Kaffeehaus neue Werke vor und auch Mozart und Beethoven machten hier ihre Stücke populär. „Es war und ist das verlängerte Wohnzimmer für Menschen, die beim Alleinsein Gesellschaft brauchen. Man ist nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft“. (Alfred Polgar)
Wer die Pflicht zur Gemütlichkeit wirklich ernst nimmt, dem sei das Café Zartl angeraten. Nach kurzer Zeit ist man sicher: Nicht der Kellner bewegt sich langsam, sondern die Zeit. Die Torten im Landtmann ersetzen jedes Antidepressivum, die gepflegte Patina des Bräunerhof jedes Sedativum. Stammgast Thomas Bernhard, der laut eigener Aussage das typische Wiener Kaffeehaus hasste, verbrachte dort den ganzen Tag. Das legendäre Hawelka war schon vor Georg Danzers Nåckertem eine Institution und weltberühmt für die Buchteln der Chefin Josefine. Der gepflegte, abgenutzte Charme des Sperl wird durch ein Handyverbot noch unterstrichen. Vielleicht gerade deshalb ist es immer noch Arbeitsplatz für Intellektuelle und Manager. Die Demelinerinnen machen die k&k Hofbäckerei zum Unikat. Nach einem Urlaubsziel, befragt, wo es heiß ist, viel Wasser gibt und wo sich kein Mensch um einen kümmert, antwortete einer der bekanntesten Kaffeehausliteraten, Alfred Polgar: „Da gehen sie am besten ins Café Herrenhof“.
Diglas, Prückel, Korb – jedes Kaffeehaus ist ein originäres Biotop. Eine Gemeinsamkeit ist jedenfalls die Pflege des subtilen Wiener Schmähs. Die Führerschaft liegt hier eindeutig im Gutruf. Als Teddy Podgorski 1967 als kleinem Redakteur des ORF ebendort zu Ohren kam, dass Helmut Zilk Programmdirektor, also sein Chef wird, tönte er: „Seids deppert, des Oaschloch, der Trottel….“. Nicht lange danach erschien der neubestellte Programmdirektor Helmut Zilk im Revier Podgorskis, trat an den Stammtisch und sprach zum Untergebenen: „Ich höre, Sie sagen ich bin ein Trottel und ein Oaschloch?“, Pordgorski ehrlich: „Ja, warum soll ich leugnen, des is mei Überzeugung“. Zilk streckte ihm die Hand entgegen: „San ma per Du?“. Das Kaffeehaus als Ort von Demokratie und Zivilcourage.
Auch wenn der Kaffee manchmal nur eine Nebenrolle spielt, so sind Breite des Angebots und Tiefgang der Zubereitung des namengebenden Getränks Verpflichtung. Ob Kapuziner, Einspänner, Fiaker, kleiner Schwarzer oder Melange, das ist der Eintritt, um stundenlang in Ruhe Zeitung zu lesen, im Internet zu surfen, Geschäfte zu verhandeln, oder die Gesprächskultur zu pflegen. Wem auch das zu viel ist, der saugt beim Kontemplieren die Atmosphäre auf. Das Kaffeehaus ist ein Lebenselixier, je länger man bleibt, umso besser wirkt es. Um diesen Umstand wusste auch Karl Farkas: „Gleich nach dem Mittagessen kamen wir ins Central und konsumierten unzählige Glas Wasser und Zeitungen. Bis vier Uhr Nachmittag saßen wir dort, dann sagte ich zum Ober: Schani reservieren Sie mir bitte einen Sessel, ich geh nur rasch nach Hause, einen Kaffee trinken“.
Der Kellner heißt hier selbstredend Ober und punktet mit Schlagfertigkeit bei jeder Bestellung. Ordert man als Beilage zum Spinat einen grünen Salat, fragt der Ober prompt: „Dazu einen Kamillentee oder doch ein Krügerl?“.
Ein Wiener Spezifikum ist der deftige Imbiss: Das kleine Herrengulasch, das Beuscherl. Das zweite Frühstück ist eine Besonderheit in manchen Wiener Kaffeehäusern. Der Begriff Gabelfrühstück kommt daher, weil man für die Zwischenmahlzeit, die am späten Vormittag die Zeit zwischen Frühstück und Mittagessen verkürzt, nur eine Gabel benötigt, weil es sich um Speisen handelt, die man, klein zerschnitten, auch sehr schnell zu sich nehmen kann, wie eben den Gabelbissen. Während man in Paris über Essen und Trinken doziert, wird in Wien beim Essen und Trinken philosophiert.
Die Erhebung zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO 2011, ist der letztgültige Beweis für die untrennbare Verbindung von Kaffeehauskultur und Wien. Nichtsdestotrotz gibt es Österreichweit bemerkenswerte Oasen: Das Traxlmayr in Linz, den Zauner in Bad Ischl, Bazar und Tomaselli in Salzburg usw. Und auch weltweit gibt es Schmuckstücke des Genres, wie das Greco in Rom, das Triest in San Francisco, das Paris in Hamburg, das Iruña in Bilbao.