Täglich Brot
Das Krachen der Rinde, die saftige Krume, unverwechselbarer Duft und nicht zuletzt herzhafter Geschmack – das ist gutes Brot.
Text: Patrick Reichl und Dietmar Kappl
Gelenkpunkt beim Workshop mit Bäcker Ruetz
Semmeln als Hemdknöpfe trug Johann Nestroy bei einem Auftritt im Jahr 1848. Immer am Puls der Zeit, wollte er damit ausdrücken, dass die Semmeln nur mehr halb so viel wogen, aber das gleiche kosteten. Dafür kam er in den Arrest. Die ihm aufgetragene öffentliche Entschuldigung nutzte er, um sich bei der Bäckerzunft dafür zu bedanken, dass sie ihm Semmeln durch das Schlüsselloch der Zelle zugesteckt hätten.
Die Größe von Semmeln beschäftigt Bäcker und Konsumenten heute weniger als deren Qualität. Eine wirklich gute Handsemmel ist Individualität durch Handarbeit mit einem tiefen Aroma, erzielt durch eine lange Teigreife.
Was ist im Körberl?
Die einzigartige Sortenvielfalt in Österreich sucht ihresgleichen. Wenn die Qualität hoch sein soll, ist es für unsere Bäcker nicht leicht, dem gerecht zu werden. Leider hat sich unsere Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten mehr auf den Ertrag und die Erntesicherheit fokussiert und dabei auf die Geschmacksqualität von Brotgetreide vergessen. Auch ging durch den starken Einsatz von Fertigmischungen aus der Backmittelindustrie in den letzten 50 Jahren viel Knowhow im Bäckerhandwerk verloren. Unsere Qualitätsbäcker haben das „Alte Wissen“ nun wiederentdeckt und das Brot bekommt durch das Aufkommen von Szene-Bäckern derzeit eine hohe Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Das Lieblingsbrot des Leibbäckers prägt wieder ganze Familien. Im Unterschied zu früher können wir heute Brotaromen beschreiben. Das Buch „Österreichische Brotansprache“ hat Anleihe aus der Weinwelt genommen und zeigt, wie verschossen der Österreicher in sein Brot ist.
Der U(h)rlaib
Gutes Brot braucht Zeit, Zeit, Zeit, ….
Wie guter Wein und Käse braucht auch der Brotteig eine Reifezeit, um seine volle Geschmacksnote zu entwickeln. Um Brote mit vielschichtigen Aromen und einer langen Haltbarkeit hervorzubringen, ist wie beim Wein auch hier die Qualität der Fermentation ausschlaggebend. Selbst die fertigen Brote reifen weiter und schmecken oft erst am dritten oder vierten Tag am besten. Dies belegt eine Befragung unter mehreren Sterne-Köchen.
Bekömmlichkeit durch Natursauerteig
Die fünfstufige Sauerteigführung gilt als klassisch und wird in der Brotbäckerei als das Ideal angesehen. Die Anforderungen an das Wissen und Können der Bäcker ist dabei besonders hoch. Die Herstellung dieses Sauerteiges ist sehr arbeitsaufwendig und zeitintensiv und bedarf einer sorgfältigen Pflege. Brot mit Natursauerteig kann auch ohne Zusatz von Backhefe hergestellt werden, dies verbessert neben dem Geschmack insbesondere die gute Bekömmlichkeit des Brotes auf natürliche Weise. Deshalb gilt vielen Brotliebhabern ein mit Natursauerteig hergestelltes Brot als das einzig Wahre.
Brotland Österreich
Unterschieden wird in unserem Kulturkreis im Wesentlichen nach Roggen oder Weizen. Beide Mehlsorten erfordern spezielles Handwerkswissen und eine unterschiedliche Handhabung, um tatsächlich die beste Qualität hervorzubringen. Weizenteige profitieren besonders von einer langen Teigreife, bei Roggenteigen ist die Sauerteigführung ausschlaggebend. Der derzeitige Dinkelboom resultiert aus der Kombination eines besonders edlen Getreides idealerweise mit einer langen Teigführung. Roggen Natursauerteig ist in der Form einzigartig für Österreich. Der Geschmack von Sauerteigbroten unterscheidet sich von Bäcker zu Bäcker. Selbst im sogenannten Brotland Deutschland findet man dieses Kulturerbe so nicht.
Den Grundprinzipien der langen Teigführung, der Verwendung von Naturmaterialien (eigener Sauerteig) schließen wir uns natürlich bedingungslos an. Dafür sind wir Bäcker. Unser besonderes Asset ist eigenes Getreide. Tirol ist ein „steinreiches“ Bundesland, hat aber wenig Getreide. Wir bauen seit 20 Jahren in Kooperation mit Bauern Getreide an und produzieren ganzjährig sechs Brotsorten ausschließlich mit Tiroler Getreide. Das erzeugt einen Mehrwert beim Geschmack und in der Landwirtschaft. Christian Ruetz
Interview mit Patrick Reichl
Täuscht es, oder war Brot früher generell besser?
Es gibt wirklich Punkte, die das Brot von früher besser erscheinen lassen – dafür ist bei uns der Senior zuständig. Mein Vater bewahrt das gute Alte, die
Tradition und gibt das Feuer weiter.
Stichwort Bäcker ums Eck. Bekommt man nur dort das gute Brot?
Das ist viel zu kurz gegriffen – und war auch früher nicht so! Gutes Brot braucht gutes Handwerk – und einen Sinn für guten Geschmack. Dafür muss man manchmal viele Kilometer fahren.
Sind Backmischungen der Tod jedes guten Brotes?
Die Seele des Brotes geht damit verloren. Sie wird verkauft für Produktionssicherheit und Schnelligkeit. Grundsätzlich ist das Verwenden von Fertigprodukten nicht zu verteufeln. Man sollte nur ehrlich deklarieren.
Ihr betreibt seit Jahren einen sehr erfolgreichen Brotback-BLOG
Unser HOMEBAKING BLOG ist seit fünf Jahren online und hat sich zu einem der renommiertesten Foodblogs im deutschsprachigen Raum entwickelt. Verantwortlich dafür ist unser Produktionsleiter Dietmar Kappl, der die interdisziplinäre Kompetenz vieler Ärzte und Ingenieure, die sich dort kondensiert nutzt, um neue Ideen, neue Produkte entstehen zu lassen – oder auch Traditionen aus anderen Ländern aufzufangen. Dieses einzigartige Wissen findet der Kunde in unseren Produkten wieder.
Ihr bietet auch Brotbackkurse an
Wir betreiben die Kurse, um den Wert unseres Handwerks, der in der öffentlichen Meinung zusehends verfällt, wiederaufzubauen. Um zu zeigen, dass mit dem Bäckerhandwerk unsere Kultur reicher ist. Derzeit entsteht die Homebaking Academy am Firmensitz. Neben der Lehre an renommierten, internationalen Fachakademien wird Dietmar Kappl auch dieses Institut fachlich leiten. Unsere Intention ist, praktisches und theoretisches Wissen an unserem Standort zu sammeln und es dem Kunden in Form von hochwertigen und traditionellen Gebäcken weiterzugeben.
Patrick Reichl
www.reichlbrot.at / www.homebaking.at