Markttreiben

Konsumieren statt Versorgen


Text: Josef Wiesauer

“Probier mal!“, sagt der Standler, als er mir im bunten Treiben eine Olive anbietet. Beim Biss in die pralle, saftige Frucht, merke ich, ich bin angekommen. Der Markt steht für große Auswahl, hohe Qualität und absolute Frische, die man auch persönlich unmittelbar prüfen kann. Die einzigartige Atmosphäre, das bunte Markttreiben, tut das Seine. Der Unterschied zum Supermarkt ist offensichtlich. Kosten und Tratschen ist hier ausdrücklich erwünscht. Aus der Notwendigkeit, sich mit Lebensmitteln versorgen zu müssen, wird das Einkaufserlebnis. Die älteste, mit großer Tradition versehene Handelsform, der Markt, und seine Sonderform, der Wochenmarkt, erfreuen sich noch immer großer Beliebtheit. Die Wurzeln gehen zurück bis in die Antike. Den Höhepunkt erreichten Märkte als Ort des Waren- und Wissenstausches im Mittelalter. Üblich war der freie Marktzutritt, Verbote gab es nur für Feinde. Der Ausbruch des Peloponnesischen Krieges, 432 v. Chr., wird auf das Marktverbot für die Megarer in Athen zurückgeführt.

 

Markt

 

Der Ausdruck Markt geht auf das althochdeutsche Markät zurück. Im Mittelalter handelten die Teilnehmer die Marktpreise frei aus. Das Marktrecht lag beim König. Im 13. Jhdt. nahm die Entwicklung des Städtewesens in Mitteleuropa Tempo auf. Den Märkten kam dabei eine wichtige Funktion zu. Oftmals wurden städtische Siedlungen um Märkte herum gebaut. Weil der Markt für die Ernährung der städtischen Bevölkerung sorgte, wurde er oftmals zum Kern einer Stadtentwicklung. Aufgrund der Bedeutung für die Versorgung der Bevölkerung griffen die Kommunen in Preisgestaltung, etc. ein. So wurde der Fürkauf (spekulativer Vorwegkauf einer Ware, um sie gewinnbringend weiter zu verkaufen) verboten. Die Frequenz der Markttage stieg stetig an, aus den Wochenmärkten wurden geschlossene Markthallen und aus den ambulanten Händlern wurden stationäre Handelsgeschäfte, in dem der Händler, im Zuge der Arbeitsteilung mit allerlei Waren handelte, die er nicht mehr selbst produzierte.

Eine der ersten deutschsprachigen Marktordnungen, ist, wen wunderts, aus Enns, der ältesten Stadt Österreichs, aus dem Jahr 1192 überliefert. Die älteste Marktordnung Wiens stammt aus dem 13. Jhdt. Sie enthält Preisfestsetzung und eine Liste der Strafen für Preisüberschreitungen, sowie für Maß- und Gewichtsvergehen.

Ab Ende der 1980er erfahren Märkte durch den Trend zu Öko- und Bioprodukten einen neuen Boost, der bis heute andauert. Hinzu kommt der wichtige emotionale, kommunikative Aspekt. Man hat direkten Kontakt mit dem Erzeuger, ist Stammkundschaft, genießt freundliche Bedienung und ungezwungenes Tratschen, sowie meist (zumindest vermeintlich) frischere und qualitativ hochwertigere Ware. In Zeiten, in denen durch Onlineverkauf der persönliche Kontakt völlig abhandenkommt, und sich Shopping Malls sehr bemühen, künstliche Erlebniswelten zu schaffen, bietet der Markt das ganz reale und natürlich Erlebnis von gestern: Einkaufen im Tante Emma Laden.

 

Der Naschmarkt
Der Naschmarkt

Der Naschmarkt

Naschen im Epizentrum des Wiener Schmähs „Servus Sepp“, begrüßt mich das Naschmarkt-Original Gerhard Urbanek, und bewundert meinen neuen Hut: „Ein super Kleidungsstück. Kannst überall damit hingehen, außer unter d’Leut!“. Bei Gerhard Urbanek bekommt man um sein Geld viel mehr als nur Coppa di Testa, Calabrese, Krustenbraten vom Kitzbühler Bauern, perfekt gereiften Fontina, korsischen Camembert und last, but not least, sein berühmtes Roastbeef. Hier trifft sich das Who is Who zum Schmähführen. Franz Klammer, Hans Kary, „Schneckerl“ Prohaska, Peter Simonischek, Gott hab ihn selig, Daniel Serafin geben hier ihre Anekdoten zum Besten.

Nebenan beim Gemüse Himmelsbach bedient jemand der aussieht wie Alfred Dorfer und spricht wie Alfred Dorfer. Der Doyen des österreichischen Kabaretts famuliert hier. Einen besseren Realitätstest für sein kabarettistisches Wirken gibt es nicht.

In Zucker eingelegte Orangenschalen, Datteln, etc. führten zum „Naschmarkt“, welche Bezeichnung ab 1905 offiziell verwendet wurde. In den 2000er Jahren wurden etliche Stände in Restaurants umgebaut. Und weil die Marktordnung seit 2006 ein Offenhalten bis 23.00 Uhr ermöglicht, brummt es hier am Abend ordentlich. Der Feinschmecker findet hier alles, was er braucht. Exquisiten Essig bei Erwin Gegenbauer, Schokolade von Zotter, Käse, Käse, Käse im Käseland oder beim Pöhl und Fisch und Meeresfrüchte im Fischviertel oder beim Umar. Es duftet nach Gewürzen, exotische Früchte ziehen die Blicke auf sich, man verkostet Oliven. Die Ohren staunen, welche Sprachen und Dialekte sie im Stimmengewirr erfassen. Beim Markttreiben kommen alle Sinne auf ihre Kosten.

Tipp: Das Roastbeef vom Urbanek ist „wirklich“ das weltbeste. Wenn Du Fisch noch frischer willst als beim Umar, musst Du ihn unter Wasser essen.

 

La Boqueria
La Boqueria

La Boqueria

Der Bauch Barcelonas La Sagrada Familia, Park Güell, Montjuic, Museo Picasso, das Opernhaus und gleich daneben die Halle des Mercat de Sant Josep – La Boqueria. Betritt man, von der Flaniermeile Rambla kommend, durch das Schmiedeeisentor die Markthalle ist man in Barcelona angekommen. Das kulinarische Herz der Katalanen schlägt für Kochen und Essen. Das spiegelt sich in zahllosen schönen Märkten in ganz Barcelona wider. La Boqueria ist darüber hinaus eine Sehenswürdigkeit.

Alles, was der katalanische Feinschmeckerherz begehrt, findet sich hier: Der beliebt Manchego in gefühlt 100 Sorten, fangfrische Meeresfrüchte und Fische, an den Fleischständen werden neben T-Bones, Chorizo, Morcilla, Serano Schinken, Pata Negra etc. auch ganze Tiere angeboten. Obst und Gemüse werden dargeboten wie die Brillanten beim Juwelier. Pilze sind säuberlich nach Größe geordnet, wie Orgelpfeifen aufgelegt. Man wählt sie einzeln aus, das entstandene Loch wird sofort wieder aufgefüllt. Wer bis jetzt dachte, er hätte annähend ein Überblick darüber, was die Welt an Nüssen bereithält, wird widerlegt (unbedingt die Casa Gispert im Barri Gotic besuchen). Würde man die Gewürze mit ihren knalligen Farben auf einem Bild von Cézanne entdecken, würde man ihm maßlose Übertreibung unterstellen. Die Tapasstände sind ein absoluter Place to be und die Bar Pinotxo der beste Ort, um am Nachmittag bei Croquetas, Jamon und Cava stilvoll zu versumpfen.

Tipp: Pimientos di Padrón und Morcilla sind ein absolutes must bei Pinotxo

 

Der Viktualienmarkt
Der Viktualienmarkt

Viktualienmarkt

Hier schlägt das Münchner Herz am stärksten. Weißwurst, Brezen und Maß zirkulieren im Biergarten unterhalb des zentralen Maibaum Münchens und rund um die Brunnen, die den Volksschauspielern, Liesl Karlstadt, Karl Valentin, Weiß Ferdl und Ida Schumacher (Die Ratschkathl vom Viktualienmarkt) gewidmet sind. In „der guten Stube von München“ sind die „Standln“, no na, rund um den Biergarten angeordnet. In Relation zur Boqueria oder dem Naschmarkt mutet die Münchner Variante fast klinisch an. Deutsche Gründlichkeit herrscht auch beim Anstellen. Ob beim Schlemmermeyer (Wurst), Lupper (Käse) oder der Fruitique (Obst, Gemüse)), angestellt wird von rechts nach links. Beim Fleischer Eisenreich herrscht Einbahnregelung: Bei einer Tür darf man hinein, bei der anderen muss man hinaus. Gefühlt kommen auf einen Gemüsestand fünf Fleischhauer. Ihr Ballungszentrum ist die Metzgerzeile im 1880 errichteten Backsteinbau „Das Petersbergl“. Es geht um die Wurst: Wollwurst, Zwiebelstreichwurst, die berühmten Nürnberger Bratwürstel, die täglich auch in der unüberbrühten Variante angeboten werden, damit man sie als „Saure Zipfel“ (Fränkische Spezialität) zubereiten kann, gefüllter Saumagen, saurer Presssack, Bayrischer Leberkäs und selbstverständlich, bis zum Zwölfeläuten, die Weißwurst mit süßem Senf. Bei einer Brotzeit in der Gastwirtschaft „Beim Sedlmayr“ schmeckt man München.

Neben der Kernkompetenz Wurst ist die Qualität aller dargebotenen Waren, bei Gemüse, Fisch, etc. denkhoch. Wer es schafft, den Bayrischen Wurstzyklus zu durchbrechen, dem sei die Boullabaisse im Poseidon dringend ans Herz gelegt. Als besonderes saisonales Highlight gilt die Spargelsaison. Unzählige Standln überbieten sich im Angebot mit dem berühmten Schrobenhausener, Schälservice inklusive! Dazu die ersten heurigen Kartoffeln und Erdbeeren.

Tipp: Verlass den Markt niemals ohne eine Leberkässemmel vom Eisenreich

 

Die Markthalle Innsbruck
Die Markthalle Innsbruck

„Uns bewegt der Wunsch nach Dialog und Begegnung“ Der Bergkäse im Käse Kulinarium schmilzt herb und deftig im Mund. Und als der Blick über das Sortiment der BrotSchmiede schweift, wissen wir: Hier ist alles, außer gewöhnlich. Die Hauptstadt Tirols bietet entlang des Inn, zwischen Nordkette und Patscherkofel eine überdurchschnittliche Lebensqualität, die hier kulinarisch sicht- und schmeckbar wird. Das Selbstverständnis ist die Rückbesinnung auf Qualität, regionales und typisches. Man findet hier Produkte einheimischer Produzenten, Spezialitäten und Raritäten. Herausragend ist das Angebot an Bioprodukten.

„Uns bewegt der Wunsch nach Dialog und Begegnung“, ist das Credo. Das ist Markt und nicht Supermarkt. Hier finden sich Institutionen, Legenden, Profis, echte Typen mit langer Geschichte.

 

Mein Marktfeeling