Hast Du Rücken?
Die bemerkenswerte Karriere einer Krankheit
1984 klagten 32 % der Bevölkerung über Rückenbeschwerden und wurden damit beim Arzt vorstellig. 2004 klagen 80 %, zum Arzt gehen unverändert 32 %. Die Anzahl der tatsächlich Erkrankten hat sich nicht verändert, die Jammerer sind mehr geworden. Die Volkskrankheit Nummer eins (mehr als 80 % der Krankenstände) steht nicht zuletzt wegen ihrer volkswirtschaftlichen Auswirkungen unter intensiver Beobachtung. Die Epidemiologie wird dabei zur Übung.
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde man in Deutschland auf eine dramatische Abnahme der Krankenstände, ausgelöst durch Wirbelsäulenbeschwerden, aufmerksam. Weder ein revolutionärer Therapieansatz noch ein neues Medikament waren ursächlich. Die Deutschen hatten auch nicht ihre Liebe zu Bewegung entdeckt und fanden plötzlich Wirbelsäulengymnastik prickelnd. Der Auslöser war weniger physiologisch, denn juridisch. In Deutschland wurde der „blaue Montag“, die Entgeltfortzahlung für einen Tag ohne ärztliches Attest, eingestellt. Der populäre Grund: „Ich hatte es mit dem Rücken“ reichte nun nicht mehr für einen Tag Krankenstand. Die Gesetzesänderung schlug sich in der Statistik merklich nieder.
Einige Jahre später schlug das Pendel in die andere Richtung aus. Auch dies war hausgemacht. Die Deutschen sind uns ja nicht nur im Fußball überlegen, sondern auch in ihrer Konsequenz. Was in Österreich heute noch diskutiert wird, mehr Bewegung in den Volksschulen, wurde in Deutschland umgesetzt. Willi Wirbel, ein Physiotherapeut als Clown verkleidet, fegte durch die Grundschulen und machte mit den Eleven ein Übungsprogramm gegen Rückenbeschwerden. Ist der Erfolg von präventiven Maßnahmen üblicherweise überschaubar, war er hier durchschlagend. Eine Personengruppe, die vorher gar nichts von Kreuzschmerz wusste, entdeckte eine neue Krankheit. Krankheiten können erstaunliche Karrieren hinlegen. Die von Burnout ist vielversprechend, Mausarm und Sarkopenie stehen ante portas.