Der Bilbao Effekt

Zu Fuß im Baskenland

Ellinor Wiesauer
Text: Ellinor Wiesauer

Wir starten in der Stadt, die in den letzten zwanzig Jahren eine erstaunliche Karriere hingelegt hat. Die frühere Industriestadt hat den Turnaround zum Tourismusziel perfekt hingekriegt. Ein Best Practice Beispiel, das in Fachkreisen als Bilbao Effekt beschrieben wird.

 

Puente San Antón
Puente San Antón

 

Um die optische Entwöhnung vom Titelbild des Reiseführers nicht zu krass zu gestalten, starten wir beim neuen Wahrzeichen von Bilbao, dem Guggenheim. Das Museum ziert tatsächlich jeden Reiseführer. Die faszinierende Architektur steht sinnbildlich für den Esprit des neuen Bilbao. Das Gebäude ist ein Kunstwerk an sich.

 

Ellinor und Josef Wiesauer vor dem Guggenheim / Ayuntamiente de Bilbao
Ellinor und Josef Wiesauer vor dem Guggenheim / Ayuntamiente de Bilbao

The Matter of Time

Die einzige permanente Ausstellung ist eine Reminiszenz an das alte „Stahl-Bilbao“. Die sieben Arbeiten von Richard Serra zeigen beeindruckend, was man aus großen Stahlteilen puristisch und trotzdem einzigartig schaffen kann.

Puppy, der Blumenhund von Jeff Koons macht den weltweit am meisten fotografierten Objekten, wie Eiffelturm, Taj Mahal und Golden Gate ernsthaft Konkurrenz. Widerstand ist zwecklos, machen Sie das Foto gleich. Die Chance, zu widerstehen, geht gegen Null.

Ein anderes sichtbares Zeichen des Wandels von Bilbao hin zur schönen Herzeigestadt sind seine Brücken. Das imposanteste Exemplar ist die Puente de la Salve, die architektonisch mit dem Guggenheim verschmilzt. Beim Weg entlang des Rio de Bilbao, vorbei an Maman, der Riesenspinne aus Bronze, wird man ihrer außergewöhnlichen Architektur gewahr. Wenn man nach 500 Metern im Parque de Doña Casilda die Eindrücke des Guggenheim nachwirken, also die Seele nachkommen lässt, hat man bereits den Eindruck gewonnen, in einer unheimlich gepflegten, der Schönheit verpflichteten Stadt angelangt zu sein. Dieser Eindruck wird auch fürderhin nicht enttäuscht. Beim Museo de Bellas Artes (das lassen wir heute aus, eine Dosis Kontemplation im Ausmaß des Guggenheim reicht) vorbei, erreichen wir die Hauptschlagader von Bilbao, die Gran Via de Don Diego Lopez de Haro, die ab der Plaza Moyua (überflüssig zu erwähnen, dass sie mit ihrer Blumenpracht zum Kitsch neigt) zur Einkaufsmeile mutiert. Spätestens jetzt wird das Gehen zum Flanieren.

Knapp vor der Calle Buenos Aires biegen wir links in die Alameda de Mazarredo, hin zur Calle Colon de Laréategui ab, denn wir widmen uns nun der Kaffeepause und das im vielleicht schönsten Café der Welt. Das Cafe Iruña mit Fliesen und Wandmalereien in andalusisch- maurischem Stil wirkt automatisch entschleunigend. Hier treffen wir auch zum ersten Mal auf die allgegenwertigen Kunstwerke der Basken, die Pintxos. Dazu bestellt man „por favor, un zurrito“. Das kleine Bier, das in ganz Spanien una Caña, heißt nur bei den Basken so und schmeckt hervorragend.

Solcherart gestärkt zielen wir auf das Herzstück Bilbaos, die Altstadt. Unterbrechungsfrei schaffen wir das freilich nicht, denn in der Calle Villarias kommen wir an den Power Records nicht vorbei. In diesem Kleinod für Vinyl-Liebhaber ist die Zeit stehen geblieben. Auswahl und Knowhow überzeugen den Fachmann, die Raritätendichte ist extrem hoch. Vor Nebenwirkungen, wie großem Zeitaufwand wird ausdrücklich gewarnt! Darüber informiert sie gerne Ihr Maitre. Das Gemüt bereichert, der Plattenbestand durch Carol King, James Taylor, Judy Garland erweitert, also in Summe entspannter, gelingt es kaum, den Blick von der beeindruckenden Estacion de Santander abzuwenden. Über die Puente del Arenal spazieren wir zum Teatro Arriaga mit seiner leicht gekrümmten, verspielten Fassade und großen Balkonen. Dahinter liegt das baskische Herz von Bilbao, die siete Calles. In den sieben schmalen Gassen kann man der Pintxo Kultur ohne Einschränkung frönen und man versteht, warum die Basken beleidigt reagieren, wenn man die kleinen Kunstwerke für Augen und Gaumen als Tapas bezeichnet. Pinxtos / Tapas sind die kleinste Portion, in Häppchen dargebotene Gaumenfreuden. Die nächst größere Portion sind die Raciones, auch hier kann man sich noch schön durch Fisch, Fleisch und Käse durchkosten, während die Platos reichlich ausfallen. Die spanische Küche ist geprägt von Tapas und Raciones in Vielfältigkeit. Ich merke, kulinarisch bin ich Spanier. An der Calle Santa Maria im Amarena bestellt man dann doch einen Plato des traditionellen Bacalao Pil-Pil und Tintenfisch in der eigenen Tinte.

 

Guggenheim / Parque Doña Casilida, Bilbao / Mercado de la Ribera, Bilbao / Plaza de la Constitución, San Sebastian / Laguardia
Guggenheim / Parque Doña Casilida, Bilbao / Mercado de la Ribera, Bilbao / Plaza de la Constitución, San Sebastian / Laguardia

San Sebastian

Txakoli ist der spritzige Weißwein, der typischerweise die Pintxos in San Sebastian begleitet. Ja, wir machen einen Ausflug nach Donostia (baskisch für San Sebastian), denn was Pintxo Kultur und Bars betrifft, ist Bilbao nur Vizeweltmeister. Als Ausgangspunkt für unsere Tour wählen wir den „Kursaal“. So althergebracht der Name, so modern ist die Architektur des Veranstaltungszentrums. Westlich davon erstreckt sich die Playa de Zurriola, der Strand der jungen Donostias. Während das Establishment an der Playa de la Concha bei Backgammon entspannt, ist hier das Eldorado der Surfer. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Wellenreiten vom Entspannungseffekt her Yoga weit übertrifft, denn überall wo Menschen Surfbretter durch die Straßen tragen (San Francisco, Hawaii) sind die Leute locker und gelassen. Ich stelle mir die Frage, ob es helfen würde, ein Surfbrett durch Linz oder New York zu tragen? Tatsache ist, dass San Sebastian in den Rankings der glücklichsten Städte der Welt immer ganz vorne liegt (Buchtipp: Die glücklichste Stadt der Welt).

Unstrittig einen großen Beitrag dazu leistet die Altstadt, deren Selbstzweck ausschließlich das Chillen ist. In den schmalen Gasse des parte vieja reiht sich Bar an Bar, Pintxolokal an Pintxolokal, Restaurant an Restaurant. Die einzigartige Gastromeile wird nur hin und wieder von alteingesessenen Handwerkern, wie dem Messerschmied und dem Hutmacher Ponsol (hier gibt es die originale Baskenmütze) unterbrochen, was das Timbre der heilen Welt von gestern verstärkt.

Man kauft sich bei der ersten Bar ein Glas Rosado oder ein Zurrito und wandert damit staunend durch Theken mit Kunstwerken zum Essen, den Pintxos. Das Glas nimmt man dabei einfach mit. Das geht, denn neben der unvergleichlichen Atmosphäre in den Gassen und Bars sind es vor allem die Menschen, die den Unterschied machen. Die Basken sind freundlich, gelassen und tiefenentspannt, wie man es sonst kaum findet. Stress hat hier keinen Zutritt.

Die Pintxos sind nur ein sichtbares Zeichen der hohen baskischen Kochkultur. San Sebastian und Umgebung weist die höchste Dichte an Michelin-Sternen auf. Ob Arzak (jahrelang das beste Restaurant der Welt), Akelarre, das aufstrebende Mugaritz – hier stehen die Meister am Herd, an denen man sich weltweit kulinarisch orientiert. Der Humus dafür sind Kochclubs. Allein in San Sebastian gibt es mehr als 120 davon, in denen man mit Freunden Rezepte austauscht, mit Leidenschaft verfeinert und natürlich gemeinsam in Feierlaune isst und trinkt. Der beste Rohstoff dafür kommt aus der Umgebung, dem Rioja.

 

Laguardia / Blick über die Weingärten des Rioja
Laguardia / Blick über die Weingärten des Rioja

Laguardia

Prädikat besonders sehenswert. Die Hauptstadt des Rioja ist eine mittelalterliche Stadt. Vorbei an Bodegas, die sich einen Wettkampf in moderner Architektur widmen, fährt man auf eine Anhöhe zu, auf der eine Burg thront. Das Auto bleibt außerhalb der Stadtmauern, denn Laguardia (die Wache) ist eine Festung. Ein Kleinod mit romantischen Gassen, wuchtigen Mauern, lauschigen Plätzen und wappengeschmückten Häusern. Sauber und bestens erhalten ist Laguardia ein malerischer Ort. Auf der Aussichtsplattform außerhalb des Mauergürtels wähnt man sich wie beim ersten Mal am Meer, nur dass sich hier die Weingärten mit dem Horizont treffen. Ein überwältigender Eindruck. Unter dem spektakulären Wellendach der Bodega Ysios lassen wir den Tag bei einem Glas Rioja Reserva ausgleiten und sind uns sicher: Wir kommen wieder, denn – Die spinnen, die Basken.

Der Bilbao Effekt wurde in den letzten Jahren als geflügeltes Wort für eine gezielte positive Stadtentwicklung durch höchst innovative und spektakuläre Architektur bekannt und geht auf das 1997 fertig gestellte und von Frank O. Gehry entworfene Guggenheim Museum in Bilbao zurück. Er gilt als Zeichen dafür, dass Kunst, Kultur und Innovation in strukturschwachen Regionen positive Impulse sog. „Pull Faktoren“ setzen können und wichtige Standortfaktoren für zukünftige Entwicklungen von Städten sind.