Tennis
Ein Sport fürs Leben und die Liebe
Text: Fritz Hutter
Das alte Spiel mit der gelben Filzkugel gilt mit Fug und Recht als ganzheitliche Herausforderung für Körper, Geist und Seele. Dass man sich dabei selbst als Novize Dominic Thiem & Co. nahe fühlen darf, bringt Fluch und Segen zugleich.
Love/Forty! Allein die Zählweise beim Tennis verrät, dass wir uns auf den folgenden Seiten einer ganz speziellen Disziplin widmen wollen. Einer der vielen Entstehungstheorien zur bereits im 13. Jahrhundert betriebenen Sportart folgend, soll das Punktesystem aus den Usancen im damaligen Frankreich resultieren. Beim Jeu de Paume, dem „Spiel mit der Handinnenfläche“, ritterte man dort bevorzugt um Geld. Pro Punkt setzten die Kontrahenten 15 Deniers, und als Spielstand wurde die jeweils verdiente Summen genannt. Das eigentlich logische „quarante-cinq“ (45) dürfte irgendwann in der Hitze eines frühen Tennis-Gefechts dem atemlos komfortabler zu artikulierenden „quarante“ (40) gewichen sein. Die Bezeichnung „Love“ für null Punkte wiederum soll dem Englischen entspringen. Jenseits des Ärmelkanals waren sportliche Wettkämpfe um den schnöden Mammon einst verpönt. Wahre Gentlemen – und bald auch Ladies – maßen sich „just for love“, also ausschließlich aus Liebe zum Spiel. Bei den Matches, für die man schon früh zu Holzschlägern griff, ging es in Großbritannien lange um nichts als die Ehre.
Letztere steht beim Tennis bis heute auf dem Spiel. Und das, obwohl seit der offiziellen Gründung der Profi-Vereinigungen ATP (Association of Tennis Professionals) und WTA (Women‘s Tennis Association) in den Jahren 1972 bzw. 1973 auch und grad in England massig Preisgeld ausgeschüttet und verdient wird. Stichworte „Wimbledon“ und „ATP Finals“. Denn trotz Jahrespreisgeldern von beispielsweise 12 Millionen Euro, die Serbiens Weltstar Novak Djokovic 2019 verdient hat, oder des vom Niederösterreicher Dominic Thiem erspielten Salärs von mehr als 7 Millionen merkt man selbst den weltbekannten BranchenführerInnen an, dass am Platz mehr als die „Marie“ auf dem Spiel steht.
Vorhand, Rückhand, Volley
Wer jemals selbst ein Tennisracket geschwungen hat, weiß was gemeint ist. Kaum eine andere Sportart legt deine Stärken aber eben auch deine technischen, physischen und mentalen Schwächen derart radikal frei. Selten agiert man selbst im Hobbybereich so ungeschützt am Präsentierteller wie beim Tennis. Ganz egal, ob man vom Schlage einer Serena Williams, eines Roger Federer oder eben eines Dominic Thiem – zu Saisonbeginn Weltranglistenvierter – ist, oder ob man seine Schläge zu nix als dem reinen Zeitvertreib durchzieht. Die Herausforderung, aber auch die daraus resultierende Faszination bleibt dieselbe: Der Ball muss möglichst sicher übers Netz und in die rechteckig linierte, gegnerische Hälfte eines nur auf den ersten Blick ausreichend großen Spielfeldes geschlagen werden – aber das schon so, dass es dem Gegenüber maximal schwer fällt, selbiges zu tun. That’s it.
Der oben beschriebenen Strategie wird von Anfang an alles untergeordnet. Von den ersten Prellübungen, bei denen jugendliche wie erwachsene Novizen zunächst eine Ahnung dafür entwickeln, wie sich die Kraft des Schlages (und jene von Bespannung und Racket) auf die Höhe und Länge des Ballfluges auswirkt, über die Basics von Vorhand, Rückhand, Aufschlag, Volley und Smash, bis zu den Feinheiten wie Platzierung, Drall (Topspin, Slice od. Sidespin), Flugbahn oder Schlaghärte.
Die Wahrheit liegt am Platz
Zu Beginn bekommt man von der idealerweise zeitgemäß geschulten Tennislehrkraft meist noch in langsamem Tempo zugespielte, leicht erreichbare Bälle vorgesetzt. Je routinierter man das Geschehen antizipiert und je koordinierter Augen, Arme und Beine an die immer höher gesteckten Trainingsziele herangehen, desto mehr Zeit und Luft bleiben, um zu agieren statt bloß zu reagieren. Wer dann noch im Stande ist, einigermaßen absichtlich cross und longline sowie kürzer und länger zu spielen, hat grundsätzlich Match-Reife erlangt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt kommt für viele die oben skizzierte „Präsentierteller“-Thematik ins Spiel. Plötzlich zeigt sich dramatisch deutlich, wie viel vom, im geregelten Tennisunterricht Einstudiertem, sich auch im Wettbewerb umsetzen lässt. In jenem gegen eine Gegnerin oder einen Gegner, aber halt auch in einem permanenten Duell mit den eigenen Wünschen und Ängsten. Während sich der direkte sportliche Vergleich den einen als motivierende Herausforderung und Chance, über sich selbst hinauszuwachsen zeigt, erscheint er anderen nicht selten als Stressfaktor, den man in seiner Wucht so nicht wirklich erwartet hätte. Die Wahrheit, so sagt man im Tennis, liegt für beide Typen immer auf dem Platz.
Die gute Nachricht für die zweite, nachweislich größere Gruppe: Spätestens jetzt haben Sie als Tennis-Rookie etwas mit den millionenschweren Tennishelden aus dem Bezahlfernsehen gemeinsam! Was? Eben diese Herausforderung, dann gut sein zu können, wenn es wirklich darauf ankommt. Selbst ein Roger Federer, immerhin Grand-Slam-Rekordler mit 20 Titeln bei den vier Major-Turnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York, hat damit ab und an seine liebe Not. 2019 etwa im epischen Endspiel von Wimbledon – mit 4:57 Stunden das längste aller Zeiten – gegen Dauerrivalen Novak Djokovic, wo der Schweizer in der Schlussphase gleich zwei Matchbälle verhältnismäßig stümperhaft versemmelte. Djokovic wiederum ließ sich im vergangenen Frühling, im Semifinale des Sandklassikers von Paris vom starken Wind und zwei wetterbedingten Abbrüchen sichtlich stärker aus dem anfangs erfolgreichen Konzept bringen, als unser letztlich erfolgreicher Dominic Thiem.
Heruntergebrochen aufs Freizeittennis geht es darum, sich von nix davon abbringen zu lassen, das körperlich wie technisch und taktisch maximal Machbare auch dann auf den Platz zu bringen, wenn externe aber auch intrinsische Störfaktoren dies zu verhindern suchen. Also wenn die tiefstehende Sonne beim Aufschlag stört oder aber eine vollmundige Siegankündigung fürs Klubmatch gegen den besten Sportspezi mentalen Druck macht. In beiden Fällen hilft vielfach schon das, worüber professionelle Cracks zweifellos verfügen: Matcherfahrung. Wer zu hoch steigendem Wettkampffieber zusätzlich den Kampf ansagen will, dem sei die Lektüre von Klassikern wie „The Inner Game of Tennis“ von Timothy Gallwey oder neueren Ratgebern wie „Psychologisch orientiertes Tennistraining“ von Nina Nittinger empfohlen.
Technik, Kondition und Psyche
Die relaxte Beschäftigung mit der mentalen Seite des Tennissports kann manchen bei zwei Dingen unter die Schlagarme greifen: Erstens mehr Freude und damit ein Plus an aktiver Erholung einzufahren, und zweitens die teils komplexen Tennis-Moves auch in einem Match deutlich lockerer, mit weniger Kraftaufwand gelingen zu lassen. Physisch fordernd ist Tennis nämlich auch so schon ausreichend. Gefragt sind bei dieser Stop-and-go-Disziplin u.a. Schnelligkeit, Schnelligkeitsausdauer, Beweglichkeit, Koordination aber auch Antizipations- und Reaktionsvermögen. Das alles generiert man idealerweise aus einer gut trainierten Körpermitte heraus und mit einer kraftvoll wie geschmeidigen Bein- und Schultermuskulatur. Dies vor allem, um auch gegen Ende von Training und Wettkampf eine möglichst saubere Technik auf den Platz zu bringen und damit nicht nur Spielfreude sondern auch ein deutlich geringeres Verletzungsrisiko zu ernten. Fakt ist: Wer sich um eine möglichst „runde“ Schlagtechnik bemüht und darum, den Ball nicht nur mit eigner Muskel- und Racketkraft übers Netz zu dreschen, sondern auch die von gegnerischer Seite aufgewandte Energie zu nutzen, kann praktisch ein Leben lang Spaß am Tennis haben.
Tennisland Österreich
Gelegenheit zum sportlichen Vergleich gibt es in Österreich, einem echten „Tennisland“ mit rund 400.000 Aktiven und einer der relativ höchsten Tennisplatzdichten weltweit, übrigens genug. In allen neun Bundesländern werden nicht nur zahlreiche Hobbyturniere sondern auch Meisterschaftsligen für Mannschaften jeder Spielstärke und jeden Alters ausgetragen – von der U8 für die Kleinsten bis zur +75 für die „Größten“. Übrigens, wer in seiner Tenniskarriere oder in jener etwaiger Sprösslinge tatsächlich noch mehr erreichen will als regionale Würden, muss bereits für Erfolge auf nationaler Ebene ordentlich investieren. So trainieren heute bereits die besten 12-Jährigen fünf- bis sechsmal pro Woche am Platz und ebenso oft an Kondition und Koordination. Zusammen mit den Kosten für Turnierreisen und Ausrüstung kommen da nicht selten 50.000 Euro pro Jahr zusammen. Kaufen kann man sich dafür fast alles – nur den Erfolg nicht.
Die Alternative für die vielen, denen es vor allem um sportiven Genuss und ein bewegtes Leben geht? Machen Sie es wie die alten Briten und spielen Sie „just for love“. Sie werden sehen, es zahlt sich aus.