Das Gedächtnis der Nation

Besuch bei Leben à la Carte in der Nationalbibliothek

Ellinor Wiesauer
Text: Ellinor Wiesauer

Erinnerung ist die Seele des Menschen. Umberto Eco 

Hier ist das gute Stück“, mit diesen Worten übergibt uns der Mitarbeiter im Zeitschriftenlesesaal die Erstausgabe unseres Magazins aus dem Jahr 1991. Tatsächlich, unser Heft wohnt in der Nationalbibliothek. Ein wenig Stolz kommt auf: Wir sind Teil der geistigen Schriften der Nation.

 

Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Hloch
Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Hloch

 

Seit 30 Jahren kommen wir unserer Verpflichtung nach und senden zwei Exemplare unserer Zeitschrift zum Archivieren an die Österreichische Nationalbibliothek. Der Gedanke lag nah: Wir besuchen unser Magazin in der Hofburg. Das wäre digital 24 Stunden am Tag möglich. Als alte Sozialromantiker wollten wir auf das analoge Erlebnis nicht verzichten. Dazu bestellt man das gewünschte Exemplar online auf der Homepage der ÖNB und erhält es 24 Stunden später im Lesesaal ausgehändigt.

Da Umwege bekanntlich die Ortskenntnis erweitern, gingen wir danach nicht den kürzesten Weg zum Ausgang. Bei der Führung durch Prunksaal und die aktuelle Brucknerausstellung, sowie einem Gespräch mit der Hausherrin, Dr. Johanna Rachinger, eröffnete sich uns ein Universum:

  • 1.500.000 Bücher
  • 12 Millionen Objekte insgesamt
  • 900.000 Besucher jährlich
  • 800 bis 1.000 Leser täglich in den Lesesälen, 7 Tage die Woche
  • 400 Mitarbeiter

 

Generaldirektorin Dr. Johanna Rachinger

Frau Dr. Rachinger im Gespräch mit Leben à la Carte

„Die Österreichische Nationalbibliothek ist die größte Bibliothek des Landes und die zentrale Gedächtnisinstitution der Republik. Sie blickt auf eine lange, bis ins 14. Jahrhundert zurückreichende Geschichte zurück und bildet eine lebendige Brücke zwischen dem reichhaltigen kulturellen Erbe der Vergangenheit und den Anforderungen der modernen Informationsgesellschaft. Die wertvollen und auch kostbaren historischen Bestände sind im weltweiten Vergleich ähnlich jener in der Apostolischen Bibliothek im Vatikan.“

Neben Büchern finden sich Objekte wie Globen, Karten, Papyri, oder Handschriften, wie z.B. das Original des Mozart Requiems, und nicht zuletzt, das größte und umfassendste Fotoarchiv der Nation.

 

Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler
Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler

 

Augustinerlesesaal Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler
Augustinerlesesaal
Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler

Was wird gesammelt?

Es gibt einen weltweiten Konsens darüber, das geistige Schrifttum einer Nation zu sammeln. In Österreich ist der gesetzliche Auftrag der Nationalbibliothek im Mediengesetz verankert. Jeder Verleger ist verpflichtet, ein Exemplar jedes Druckwerkes (Bücher, Zeitschriften, Tageszeitungen, ….) an die ÖNB abzuliefern. Alleine dreißig- bis vierzigtausend Bücher sind das pro Jahr.

Was schafft es ins Archiv?

Gesammelt wird österreichisches Kulturgut. „Unsere Aufgabe ist zu katalogisieren, nicht zu bewerten“, so Generaldirektorin Dr. Johanna Rachinger. „Um unseren Auftrag umfassend zu erfüllen, erwerben wir zusätzlich Vor- und Nachlässe bedeutender österreichischer Autorinnen und Autoren, wie zum Beispiel den Nachlass von Thomas Bernhard oder von Friederike Mayröcker, den Vorlass von Robert Menasse, sowie Werke mit Österreich-Bezug, die im Ausland publiziert wurden.  Darüber hinaus schließen wir auch „Lücken“ im Bestand: so hat der große Komponist Anton Bruckner seinen Nachlass der Hofbibliothek überantwortet, weitere Objekte wie etwa Briefe oder persönliche Gegenstände wurden im Lauf der Zeit zugekauft“, so Generaldirektorin Dr. Johanna Rachinger.

Born digital Medien (viele wissenschaftliche Arbeiten werden nur mehr online veröffentlicht) werden online gesammelt. Um die social Media Szene abzubilden, wir an einem Tag im Jahr alles gestreamt, was unter at-Domains im Netz präsent ist. Nur so kann man dem Anspruch gerecht werden, sich in 50 Jahren über das Österreich von 2024 ein ganzheitliches Bild über Kultur, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, etc. machen zu können. Beim Digitalisieren liegt die ÖNB an der europäischen Spitze. Die Partnership mit Google ist eine Benchmark.

Bildungsauftrag

Der digitale Zugang baut Schwellenängste ab, er ist 24 Stunden pro Tag gratis möglich. Summa summarum: Digitalisierung ist die Demokratisierung des Wissens. Die Verpflichtung, alles allen zur Verfügung zu stellen, wird sehr ernst genommen. Der Zugang ist hybrid. Man stellt physisch und online aus. Als Center für Info- und Medienkompetenz bietet man Trainings für Schüler und Studenten. Das Angebot reicht von „Wie benutze ich eine Bibliothek?“, bis hin zu „Wie erkenne ich Fake News?“.

Herkulesaufgabe Logistik

Alle Objekte, die sichergestellt werden, werden ewig aufbewahrt und müssen erhalten werden. Lagerplatz ist daher ein Kernthema. Es gibt einen riesigen Bücherspeicher unter dem Burggarten. Der Speicher in Haringsee in Niederösterreich bietet Platz für die nächsten 15 Jahre und die Möglichkeit einer Erweiterung.

Neben dem Platzbedarf sind die Haltbarmachung und Pflege der Objekte, sowohl präventiv als auch restaurativ, eine komplexe Herausforderung. Papyrusrollen zerfallen! Nicht! Dafür müssen Temperatur, Luftfeuchtigkeit, und Licht ständig kontrolliert und entsprechend adaptiert werden. Um Tinten- und Säurefraß hintanzuhalten, muss man präventiv Maßnahmen setzen, wie z.B. säurefreie Kartons.

Geschichte

Die Büchersammlung geht auf verschiedene frühe Sammlungen, vorwiegend derjenigen der Habsburger zurück. Der erste Besitz eines Buchs, ein Evangeliar aus dem Besitz Albrechts III. ist für das Jahr 1368 nachweisbar. Der erste offizielle Hofbibliothekar war Hugo Blotius, Unter dessen Nachfolger, Sebastian Tengnagel, kam es 1624 zur Einführung der bis heute geltenden Ablieferung der Pflichtexemplare. Alle Bücher und Schriften wurden an unterschiedlichen Orten aufbewahrt, wie z.B. der Wiener Neustädter Burg, der Wiener Hofburg, oder auch der Innsbrucker Burg und dem Schloss Thaur.

Unter Karl VI. begann eine neue Ära. Der Kaiser stimmte der Anregung des Fürsten Johann Leopold Donat von Trautson zu, ein eigenes Gebäude für die Sammlung zu errichten. Zunächst wurde nur der Prunksaal, einer der weltweit schönsten Bibliothekräume, gebaut. Die Pläne stammen von Johann Bernhard Fischer von Erlach. Nach dessen Tod übernahm sein Sohn, Joseph Emanuel, die Fertigstellung (1726). Die Fresken stammen von Daniel Gran, die Skulpturen auf dem Gebäude von Lorenzo Matielli. Allerdings zeigten sich schon unter Maria Theresia Risse in der Kuppel. Hofarchitekt Nikolaus Pacassi verstärkte sie mit einem Eisenring. Franz Anton Maulbertsch restaurierte das Deckenfresko, an dem die Spuren eines Risses noch heute zu sehen sind.

In der Kaiserzeit bis zum Ende des ersten Weltkriegs war die „Wiener Hofbibliothek“ eine der umfangreichsten Universalbibliotheken der Welt. Heute liegt der Schwerpunkt im geisteswissenschaftlichen Bereich, Zu verdanken ist dies u.a. dem Leibarzt Maria Theresias, Gerard van Swieten und dessen Sohn Gottfried van Swieten, die die Sammlung um zahlreiche naturwissenschaftliche Werke erweiterten und damit für wissenschaftliches Arbeiten interessant machten. Seit 1945 firmiert die Sammlung unter dem Titel „Österreichische Nationalbibliothek“.

Die Sammlungen

Sammlung von Handschriften und alten Drucken
Sie umfasst Handschriften von der Spätantike sowie Drucke aus der Frühzeit des Buchdrucks bis zum Jahr 1850 und besitzt aufgrund der Größe und der Vielfalt Weltrang.

 

Globenmuseum Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler
Globenmuseum
Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler

Kartensammlung und Globenmuseum
Seit dem 16. Jhdt. wurden Landkarten in der kaiserlichen Hofbibliothek gesammelt. Im Museum für Globen befinden sich 695 Globen, die großteils schon vor 1850 angefertigt wurden.

 

Papyrusmuseum Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler
Papyrusmuseum
Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler

Papyrussammlung
Diese umfasst ca. 180.000 Objekte aus dem Zeitraum 15. Jhdt. v. Chr. bis zum 13. Jhdt. nach Chr. und ist eine der größten derartigen Sammlungen weltweit.

Musiksammlung
Hier finden sich zahlreiche Partituren und Erstdrucke bekannter Komponisten wie Richard Strauss und ­Anton Bruckner.

Sammlung alter Handschriften und Drucke
Die “Sammlung von Inkunabeln, alten und wertvollen Drucken“ stammt aus dem Zeitraum von 1501 bis 1850 und ist im Augustinerlesesaal einsehbar.

Bildarchiv und Grafiksammlung
Das Bildarchiv ist die größte Bilddokumentationsstelle Österreichs.

 

Literaturmuseum Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler
Literaturmuseum
Foto: Österreichischen Nationalbibliothek / Pichler

Literaturarchiv
Literarische Vor- und Nachlässe österreichischer Autoren stehen zur wissenschaftlichen Auswertung zur Verfügung

Sammlung für Plansprachen und Esperantomusem
Die ÖNB beherbergt die weltweit größte Fachbibliothek für Interlinguistik.

Archiv des österreichischen Volksliedwerks
Diese Sammlung ist der ÖNB zugeordnet, untergebracht ist sie in den Räumen des Volksliedwerks.

 

Sonderausstellung Anton Bruckner

Nationalbibliothek aktuell:

Sonderausstellung Anton Bruckner – der fromme Revolutionär, anlässlich seines 200. Geburtstags