Die Zeit sind wir
Die Zeit ist eine Konstante, aber die Welt ist schneller geworden.
Mit der Erfindung der Eisenbahn musste sich der Mensch an das neue Tempo gewöhnen. Als die ersten Ängste und Aufregungen verebbt waren, war der Blick aus dem Fenster für die Reisenden gewöhnungsbedürftig. Wie bisher die Dinge zu fixieren verursachte Schwindelgefühle, da alles vorbei huschte. Hatte man das neue Sehen erlernt, so erlebte man Beschaulichkeit bei hohem Tempo. Die Welt ist schneller geworden. Die Zahl der Handlungs- und Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit wächst beständig. Es ist unserer rasanten Entwicklung geschuldet, dass die Welt für uns viel mehr Optionen bereithält, als in unser Leben passen. Wir können nicht alle Reisen machen, alle Bücher lesen, alle Filme sehen, alle Hobbys ausleben. Es ist ein menschliches Privileg, dass wir das wahrnehmen. Steine, Pflanzen und Tiere sind in der Zeit wie der Mensch. Nur der Mensch zeitigt die Zeit, sagt Heidegger treffend. Nur wir sind uns der laufenden Zeit und der Endlichkeit unseres Lebens gewärtig. Das erzeugt die permanente Zeitknappheit in uns. Wir erleben die Zeit als Furie des Verschwindens (Hegel).
Die Zeit ist schuldlos, denn sie ist eine Konstante. Wir selbst sind die Schöpfer unserer Zeit (Augustinus, 354 – 430 n. Chr.). Es obliegt uns, sie richtig zu bewirtschaften. Packen wir ständig zu viel hinein, leiden wir unter der Zeitverdichtung. Ständig genügend Zeit zu haben, bedeutet, dass nichts wirklich wichtig ist. Beschaulichkeit bei hohem Tempo ist gefragt, denn wir sind die Zeit.
Niemand ist frei, der nicht über sich selbst Herr ist. Matthias Claudius